Dienstag, 25. März 2014

Ein Hauch von Bristol - SF Lorch gegen TSV Mutlangen

Mogelpackung. Nicht das Memorial Stadium in Bristol,
sondern der Goldwasen in Lorch.
Bewölkter Himmel, Temperaturen um die 7°C, eine steife Brise aus Nordwest, vierfach geschachtelte blau-weiße Eckfahnen sowie weißhaarige Seebären, die in Seemannsmütze von der Tribüne aufs Spielfeld blicken? Was nach einem Heimspiel der Bristol Rovers klingt, findet man so tatsächlich im Herzen des Stauferlandes, im kleinen Städtchen Lorch. Statt dem salzigen Duft der Nordsee oder anderer maritimer Fläche dringt auf dem Weg zum Sportplatz dann auch nur der Geruch frisch versprühter Gülle an die Nase. Dafür kontert Lorch mit einer Spielfäche im Schatten des weltberühmten Kloster Lorch, der Grablege des staufischen Kaisergeschlechts.

Der praktische Grund, die Nachbarstadt aufzusuchen und dem Spitzenspiel der Kreisliga A Kocher/Rems zwischen den Sportfreunden Lorch und dem TSV Mutlangen zu folgen, waren für mich sehr schwäbischer Natur: dank meiner Wochenkarte muß ich für die Station Lorch kein zusätzliches Fahrgeld bei der Deutschen Bahn investieren.

Allgegenwärtiges Vereins-
wappen der Spfr. Lorch
Die Sportfreunde Lorch wurden 1911 als FC Union gegründet, und schon damals trat man in blau-weißen Dress an. 1913 traten die Fußballer des im gleichen Zeitraum gegründeten FV Lorchia Sportfreunde dem Verein bei. Der Erste Weltkrieg hemmte zunächst die Entwicklung des Fußballsports in der Stauferstadt, die verbliebenen Spieler schloßen sich dem Turnverein Lorch an.

Bereits 1920 entstand mit dem 1. FV Lorch 1911 wieder ein eigenständiger Fußballverein, der 1926 das Gelände des "Goldwasens" kaufte und dort bis heute beheimatet ist. Der Erwerb der vereinseigenen Anlage erwies sich als Glücksgriff. Die dem damaligem Bezirk Rems zugeordneten Lorcher konnten zwar in jener Epoche mit den Gmünder Teams Normannia und DJK nicht konkurrieren, jedoch gehörten sie zusammen mit dem 1. FC Oberbettringen und Teutonia Rechberg zu den heimstarken Mannschaften im Oberamt Gmünd. Im März 1933 sicherte sich Lorch vorzeitig die Meisterschaft in der A-Klasse mit einem 2:1-Sieg im Goldwasen gegen den TSV Heubach. Rund 1.000 Zuschauer wohnten der ruppigen Partie bei, wobei der damalige Berichterstatter attestierte, die Lorcher hätten sich zuerst auf den Mann und dann auf den Ball gestürzt, was die Heubacher vor Angst gelähmt hätte.

"Leise war gestern". Sollte man mal
im Normanniastadion aufhängen.
Mit der "ein Ort - ein Verein"-Politik der Nationalsozialisten war es mit eigenständiger Fußballvereinsarbeit  zunächst vorbei, und in Lorch entstand mit dem Verein für Leibesübungen ein Großsportverein inklusiver Einheitssatzung mit Führerprinzip. Aus dieser Zwangsfusion entstanden nach dem Krieg die heutigen Sportfreunde, die auch den Namen beibehielten, nachdem 1954 die Turner und anderen Nichtfußballer den Verein verließen. Die "goldene Zeit" der Lorcher waren sicherlich die 50er Jahre. 1950 stiegen die blau-weißen in die 2. Amateurliga auf und gehörten ihr insgesamt 5 Jahre an (1950/51 bis 1952/53 und 1958/59 bis 1959/60). 1956 gehörte Lorch zu den Pionieren im Fußball, nachdem man bereits eine Flutlichtanlage erstellte. Bleibende Spuren hinterließ man jedoch nicht, ältere Lorcher schwärmen aber auch heute noch von Partien gegen den VfL Heidenheim, dem 1. SSV Ulm 1928, den Sportfreunden Gmünd, Normannia Gmünd, Göppinger SV, VfR Aalen oder SC Geislingen. Vor allem Auswärts waren die Lorcher gern gesehen, und mit einigen hohen Auswärtsniederlagen haben sie sich in die Annalen der 2. Amateurliga eingetragen (0:10 in Geislingen, 2:7 und 1:8 in Ulm, 0:9 beim VfR Aalen). Nach dem Abstieg 1960 wurde es überregional ruhig um die Sportfreunde, wiewohl sie im Bezirk immer ein Begriff blieben.

Nach mehrmaligen Auf und Ab zwischen Bezirksliga und Kreisliga B stehen die Lorcher im Augenblick auf Rang 1 der Kreisliga A und setzen zum neuerlichen Sprung in die Bezirksliga an, wo so ein Verein meiner Meinung nach auch besser aufgehoben als in der A-Klasse ist.

Mit dem TSV Mutlangen kam allerdings alles andere als Kanonenfutter in den Goldwasen. Die "Heidekicker" - zwar immer die Abstiegsränge im Blick und nach wie vor den Klassenerhalt zum Ziel, stehen selber noch in Aufstiegsnähe. Die Lorcher hingegen wollten sich nicht beeindrucken lassen und boten zum Fußballfestival auf den Goldwasen.

Zügigen Schrittes erreicht man den Goldwasen vom Bahnhof Lorch durch ein Gewerbegebiet und am besagtem Güllefeld vorbei in ca. 15 Minuten. Auf dem Weg dorthin stößt man auch auf eine beflaggte Bayern-Behausung.
Bei meiner Ankunft im Goldwasen streiten gerade die SF Lorch II und der TV Weiler II um Punkte in der Kreisliga B. Weilers Reserve-Elf ist sowas wie der tragische Held im Bezirk, ziert man nach 14 Spielen mit 0 Punkten und 6:76 Tore das Tabellenende der Kreisliga B. Auch bei meinem Besuch kann Weiler II lediglich sein Gegentor-Konto nach Oben schrauben, zieht sich mit 0:1 aber achtbar aus der Affäre.

Zugleich fällt mir beim Goldwasen-Besuch die strikte Einhaltung der blau-weißen Vereinsfarben auf. Ungewöhnlich ist auch das Vereinsheim mit Aussichtsterasse, wo man in sprichwörtlich erhöhter Lage auf die Spieler herabblickt. Diese müssen sogar Treppensteigend in die Umkleidekabinen.


Blau-Weiß, sogar die Beleuchtung.
Früher verzeichnete der Goldwasen vierstellige Zuschauerzahlen.
Selbst bei schweigenden Zuschauern herrscht auf den Aussichtsrängen - so richtig als Tribüne möchte man den ansonsten schönen Komplex nicht bezeichnen - stets Lärm. Direkt hinter dem Vereinsheim verläuft die nie schlafende Bundesstraße 29, und der geneigte Zuschauer ist einem Dauersummton ausgesetzt.

Nach Schlußpfiff der Reservepartie füllt sich langsam der Zuschauerbereich, wobei doch einige Fans in blau-weißen Schals und Mützen der Sportfreunde auftauchen. Auch wenn anzunehmen ist, dass die Mehrzahl davon Vereinsmitglieder sind, so ist diese konsequente Zurschaustellung von Fanartikeln irgendwie sympathisch. Besondere Sympathie geniessen bei mir eine ältere Frau, die ich mal despektierlich "Fußball-Granny" nenne. Im Laufe der Partie fiebert sie mit den Lorchern mit, kann sich nicht ruhig auf der Schranne halten und erweitert meinen Schimpfwörterwortschatz um neue Begrifflichkeiten.

Andere Sympathien erhält der Eingangs erwähnte Marineveteran mit Original Elbsegler bedeckt, für den die kalte Witterung und der schneidige Westwind wohl eher Erinnerungen an seine maritime Vergangenheit weckt.

Mitfiebernder Fußballfan.
Verfolgt gespannt von der "Brücke",
was die Landratten treiben.











Spielgeschehen aus blau-weißer Sicht.
Ein wenig komme ich mir ja schon verloren vor, so mit meiner rot-schwarzen Jacke, die auch vom TSV Mutlangen stammen könnte. Die Lorcher Zuschauer sind sich auch nicht sicher, wie sie mich einschätzen sollen: ist der Kerl ein Mutlanger, oder kommt er behufs seiner Kamera von der Lokalzeitung? Obwohl der Gästeanhang auf der Gegenseite, quasi im "Unterland" versammelt ist, sind nichtsdestotrotz Mutlanger im "Oberland" am Mannschaftsheim auch gern gesehene Gäste. "Ja Martin, was machst du hier?" schallt es von Lorcher Seite einem Mutlanger Betreuer entgegen, der sich gerade ein Glas Hefeweizen gönnt. "Zugucken wie ihr verliert!" kontert er mit einem Lachen beim hinsetzen. Man kennt sich halt. Auch dass ist das nette an der Kreisklasse.

So ein blau-weißes Fansortiment würde mich jetzt auch wärmen.
Das Spiel gestaltet sich zunächst im Interesse der Gastgeber. Die Lorcher sind in der 1. Halbzeit überlegen, spielerisch besser drauf und die Führung scheint nur eine Frage der Zeit zu sein. Indes, die Gäste aus Mutlangen wollen diesen Gefallen einfach nicht erfüllen. Ich jedoch bin mit meiner Wahl zufrieden. Im Gegensatz zum A-Klassenspiel in Schorndorf in der Vorwoche bin ich froh, diese Entscheidung getroffen zu haben. Zum Pausenpfiff habe ich trotz Torlosigkeit keinen Grund zur Klage, einzig der scharfe Wind, der sich durch Mark und Bein seinen Weg bahnt, läßt mich bibbern. "I han vorhin mei Nas' aus 'em Fenschter g'hängt und mir glei a lange Unterhos a'gzoga" höre ich intime Details von einem Nebenmann.

"Freudenhaus"?
Nicht nur ich friere, auch die Zuschauer drängt es zur Pause in das wärmende Vereinsheim oder an den Grill, wo neben Roten und Thüringer ein Goldwasen-Hamburger feil geboten wird. Mit jedem Zwiebelring, der von dort den Hang hinuntergeschleudert wird, nährt sich bei mir der Verdacht, dass dieser Hügel in Wahrheit durch Zwiebelringe aufgeworfen wurde. Zumindest die Schlüsselblumen am Hang scheinen ob des Naturdüngers gut zu gedeihen.

Hinter dem Grill ist man wesentlich geschützter vor dem Westwind, ist dafür dem Grill- und Zigarettenrauch ausgesetzt. Ich beschließe zu warten, bis die Kassierer ihre Runde bei mir vollzogen haben, um dann ein paar Eindrücke vom Spielfeldrand aufzunehmen.


Zwischenzeitlich "ertappe" ich Schiedsrichter Jan Dimitrovski von Makedonija Stuttgart völlig unvorbereitet beim verlassen der Schiedsrichterkabine. Sein strenger Blick rühre daher, meinte er, dass er bei dieser Kälte nicht oben beim Grill stehen bleiben könne, sondern wieder nach unten zum Spiel müsse. Von seinem Blick auf dem Foto ist der ansonsten eher fröhliche Zeitgenosse aber begeistert.

Der Mann mit der Lizenz zu pfeifen: Jan Dimitrovski 
Mittlerweile wird auch mein Eintritt kassiert, ich reiche die 3 Euro rüber, und man kümmert sich schon mit dem Ruf "Freiwillige vor" um die Zuschauer neben mir, bevor sich der Kassierer postwendend an mich richtet und fragt, ob ich eine Dauerkarte hätte oder Eintritt zahlen müsse. Ich, ein klein wenig verwirrt, kläre ihn auf, das ich ihm soeben meinen Eintritt in die Hand gedrückt hätte.

Fußball im Schatten des Klosters.
Nachdem sich die Mannschaften wieder auf dem Rasen im Zweikampf maßen, ich mein Salär dem Verein anvertraut wußte und ich es eh vorhatte, verlasse ich den "Feldherrnhügel der Fußballschlachten" und gehe an die Seitenlinie, näher zum Spielgeschehen.

Mittlerweile drehte sich das Spiel. Nicht mehr die Lorcher Sportfreunde, sondern die Gäste aus Mutlangen beherrschen das Spiel, gewinnen zunehmend die Zweikämpfe, stürmen häufiger aufs gegnerische Tor.


Spielszene aus der 2. Hälfte.
The Swabian Marlboro Man.
Kreisliga, wo Linienrichter noch jubeln dürfen.
Auch zufrieden: TSV-Trainer Tomas Perez.
Und dann passiert auch das längst nicht mehr Unerwartete: Lorch, die Mannschaft, die in dieser Saison das Wort Niederlage noch nie gehört hat, gerät in Rückstand. Völlig verdient zudem. Dem mitgereisten Anhang aus Mutlangen freut es zumindest, und auch der Mutlanger Seitenassistent hält es nicht mehr hinter der Linie.

Die Lorcher sind nun gezwungen, etwas zu tun, stürmen wieder verstärkt in Richtung Tor der Gäste. Der Erfolg bleibt indes aus. Einerseits werden die Angriffe zu sehr mit der Brechstange versucht, andererseits wirkt Mutlangens Abwehr sehr konzentriert.

In dieser "Sturm-und-Drang"-Phase der Lorcher Hausherren fällt dann auch das 0:2. Im allgemeinen Mutlanger Jubel fragt mich TSV-Keeper Tobias Tangl noch nach der restlichen Spieldauer. Restlos beantworten kann ich die Frage leider nicht, kurze Zeit später sammle ich dennoch Pluspunkte bei ihm. Als ich einen ins Toraus geflogenen Ball lässig zurückwerfen will, landet der Ball auf der Bande und prallt wieder zurück in die Wiese hinter dem Tor. Tangl ist aber aus naheliegenden Gründen nicht unglücklich über den zusätzlichen Zeitgewinn.

Der überwiegend Mutlanger Anhang.
Da ich mit beiden Mannschaften nicht verbandelt bin, es zudem kalt und windig ist, beschließe ich die letzten Minuten des Spiels zu schwänzen, um meinen Zug nach Hause zu ergattern. Auch die "Fußball-Granny" (sie möge mir immer noch diese Bezeichnung vergeben) ist schon längst enttäuscht von ihrer Mannschaft, steigt grummelnd und schimpfend ins Auto. Aus der Ferne höre ich dann auch den Schlußpfiff und lautstarken Siegesjubel der Mutlanger. Erstmals in der Sasion unterliegt der Tabellenführer Lorch, und dann auch noch Zuhause. Mutlangen steht plötzlich auf dem zweiten Tabellenplatz, was Relegation bedeuten würde. Von einem Aufstieg will Mutlangens Coach Perez indes nichts hören.  Die Sportfreunde Lorch hingegen sind zwar gestrauchelt, bleiben aber nach wie vor mit 8 Punkten Vorsprung Tabellenführer.

Wie dem auch sei, irgendwie bringe ich den Heimmannschaften bei meinen Abstechern in die Kreisliga Pech. Letzte Woche Schorndorf, heute Lorch. Möglicherweise liegt es aber auch nur daran, dass die Gäste (Hertmannsweiler und Mutlangen) jeweils in roten Trikots aufliefen? Ganz wie meine Normannia eben.

Konzentriert: Tobias Tangl (TSV).
Gestrauchelt, aber nicht gestürzt:
die Sportfreunde Lorch.














Spielbericht:
TSV Mutlangen: Heide-Elf bezwingt den bislang ungeschlagenen Spitzenreiter

2 Kommentare:

  1. Super Bericht, toll geschrieben und passende Bilder ausgewählt. Wir haben uns erlaubt den Bericht auf unser Homepage zu verlinken. www.sflorch.de

    Grüße aus Lorch von den Sportfreunden!

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    1. Vielen Dank für das Lob und das verlinken in Euer "PR-Archiv". Abgesehen vom widrigen Wind und den tiefen Temperaturen hat es mir ja sehr gut am Goldwasen gefallen.

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