Montag, 14. April 2014

„Wird Zeit, das Ihr endlich absteigt!“ - SC Urbach gegen VfR Birkmannsweiler

Internationales Flair im Wittumstadion
Konrad Hornschuch AG
Auf den SC Urbach freute ich mich schon lange. Urbach ist eine Gemeinde mit 8.600 Einwohnern im Rems-Murr-Kreis entlang der Remsbahn, so das ich mit meiner Wochenkarte quasi zum Schwaben-Nulltarif anreisen kann. Normalerweise ist die Obstbaugemeinde Ausgangs- oder Endpunkt für Wanderungen, denn von Urbach aus sind sowohl der Schurwald im Süden als auch der Schwäbisch-Fränkische Wald im Norden bequem zu erreichen. Mir persönlich gefällt in Urbach das alte Fabrikgebäude der Firma Konrad Hornschuch, ein Ziegelsteinbau, Zeitzeuge der einstmals so bedeutenden schwäbischen Textilweberei.

Der SC Urbach ist zwar ein relativ junges Gebilde - ein Mehrspartenverein, 1988 entstanden durch Fusion der beiden Ortsrivalen 1. FC-TV Urbach und TSV Urbach - aber besonders der 1. FC Urbach war in der Vergangenheit kein Unbekannter.

"In Urbach sind die Punkte bekanntlich schwer zu holen" eröffnete beispielsweise die Rems-Zeitung im Dezember 1932  ihren Bericht zum Favoritensturz des 1. FC Eislingen in der kleinen Landgemeinde. Urbachs Heimstärke war gefürchtet und trug wesentlich zum Aufschwung des kleinen Fußballvereins bei, der in seiner Hochphase gerne mit dem legendären SV Alsenborn verglichen wurde.

Ein langer Blick zurück über diese spannende Vereinsgeschichte scheint angebracht. Wie so vieles in Urbach etwas ungewöhnlich ist, so auch die Urzeit des Fußballs. Alles begann mit einem Stammtisch im Gasthaus Adler, wo 1899 ein "Club der Gemütlichkeit" ins Leben gerufen wurde. Dieser traf sich dort regelmäßig zu seinem Stammtisch, der sinnigerweise den Namen "zum feuchten Eck" erhielt, was wohl mehr auf der Vernichtung von Hopfenprodukte schließen läßt. Offenbar aus einer Stammtischlaune heraus kommen die beiden Urbacher Fußballpioniere Gottlob Walter und Friedrich Bertsche im März 1921 auf den Gedanken, in Urbach gegen einen Lederball zu treten, was mit der Gründung des 1. Fußball-Clubs auch geschah.

Schwierigkeiten bereitete der Gemeinderat, der dem Verein zunächst mal keinen geeigneten Platz zur Verfügung stellen wollte. Der Verein, so die Honorationen, solle erst mal seine Lebensfähigkeit beweisen. Man war offenbar damals der Ansicht, dass die „narrede Kerle, die uf de Wiesa em a Ball nochsaua ond nex wiea d’Schua zemahauet“ bald die Lust am Fußball verlieren würden, wenn man ihnen nur einen schlechten Untergrund gewährt. Die Fußballbegeisterten ließen sich jedoch nicht beirren, entwässerten die untaugliche Kiesgrube und schufen sich - allen Anfeindungen zum Trotz - bald ihre fußballerische Heimat. Ruhe hatten sie deshalb noch lange nicht. Immer wieder versuchte man, die "Fußballnarren" am Spielen zu behindern, sei es durch Lagen an Mist, die am Spielfeldrand aufgeschichtet wurden, dem entleeren der Abortgruben auf dem Spielfeld oder wildgewordenen Bäuerinnen, die während eines Spieles versuchten, den Ball zu stiebitzen. Urbachs Fußballhistorie ist voll von solchen heute komisch anmutenden Anekdoten.

Im Punktspielbetrieb startete die Mannschaft in der C-Klasse, kämpfte sich in die B-Klasse vor und erreichte 1926 die A-Klasse im Bezirk. 1930 stieg der Verein sogar in die Kreisliga Cannstatt auf - damals zweithöchste Spielklasse im deutschen Ligasystem - und traf dort auf bekannte Namen wie Sportfreunde 02 Eßlingen, der SpVgg Cannstatt, dem VfR Aalen, dem Stuttgarter SC oder - 1. FC Normannia Gmünd. Auswärts holten die Urbacher allerdings nur einen einzigen Punkt (ein 1:1 bei Viktoria Untertürkheim), Zuhause konnten sie allerdings doch das ein oder andere mal die Gegner ärgern. Auch Normannia lernte die Heimstärke Urbachs kennen, und unterlag 3:6.

Am Ende der Saison stand der 1. FC Urbach auf dem letzten Platz und hätte eigentlich wieder absteigen müssen, wäre nicht die Kreisliga Hohenstaufen ins Leben gerufen worden, der auch die Urbacher zugeordnet wurden, aber auch dort regelmäßig in der unteren Hälfte anzutreffen waren. Nach 1933 erfolgte mal ein Abstieg, aber ansonsten konnte sich Urbach in der 2. Spielklasse halten. 1941 klopften die Remstäler sogar ans Tor der Gauliga Württemberg, scheiterten jedoch bereits in der Qualifikation zur Aufstiegsrunde am Göppinger SV.

Der alte Sportplatz, der der
"Ortsmitte 2" weichen soll.
Kam der Sport im Laufe des 2. Weltkriegs zum erliegen, so nahmen die Urbacher unmittelbar nach Kriegsende den Spielbetrieb wieder auf. Zunächst im Bezirk Stuttgart, ab 1946/47 im Bezirk Rems/Murr. Im April 1948 fusionierten die Fußballer mit dem Turnverein Unterurbach 1897 zum 1. FC-TV Urbach 1897. Unter diesem Namen feierten die Remstäler ihre größten Erfolge und sind dem Fußballhistoriker geläufig.

Nach ein paar Jahren in der A-Klasse kam 1955 die Ligameisterschaft mit sagenhaften 35-5 Punkten, wobei die 5 Minuspunkte ausschließlich durch Unentschieden verursacht wurden. Auch der Aufstiegsmarathon - Urbach mußte 11x antreten! - endete erfolgreich und der FCTV stieg in die II. Amateurliga, Staffel Stuttgart auf. Dort etablierte man sich ziemlich schnell gegen altehrwürdige Namen wie VfB Stuttgart (Amateure), Sportfreunde Stuttgart, SpVgg Feuerbach, Ludwigsburg und Böblingen. Dabei mussten die Urbacher in ihrer Premierensaison sogar auf andere Sportplätze ausweichen, da der Fußballplatz des FCTV einem Hochwasser zum Opfer fiel.

Dann kam der 22. November 1958. Vor einer traurigen Kulisse von 600 Zuschauern im fernen Munderkingen bezwang der FC-TV Urbach im Endspiel des WFV-Pokals den FC Wangen 05 durch Tore von Neuhäuser, Lang und Spielführer Rudi Degele mit 3:1, und holte den Pokal ins damalige 2.600-Seelen-Dorf. Im Süddeutschen Pokal, an dem der WFV-Pokalsieger teilnehmen durfte - schieden die Urbacher allerdings am 4. Januar 1959 gleich in der 1. Hauptrunde mit einem 2:6 gegen den SSV Reutlingen aus.

In der Liga gelang 1968 der Aufstieg in die I. Amateurliga Nordwürttemberg, die sportlich nach 2 Jahren wieder verlassen werden mußte. Allerdings war sich der Verein auch bewußt, dass ein sportlicher Verbleib in der höchsten Amateurklasse nicht zu finanzieren war. Der Rest der Urbacher Fußballgeschichte ist schnell erzählt. Das "Remstäler Alsenborn" hielt sich zunächst in der II. Amateurliga und feierte 1971 nicht nur sein 50-jähriges Jubiläum, sondern zusammen mit Borussia Mönchengladbach das erste und letze mal eine Deutsche Meisterschaft in Urbach. Urbachs Kicker durften dabei stolz die Meisterschale präsentieren. 1974 stieg der FCTV ab und verschwand auf Nimmerwiedersehen aus höheren Spielklassen, um im Bezirk Rems/Murr auf Punktejagd zu gehen.

Nach der großen Ligareform mit der Einführung der Oberliga Baden-Württemberg war es dem Nachfolgeverein SC Urbach vorbehalten, 1992 ins überregionale Blickfeld zu rücken, als die Bezirksmeisterschaft und der Aufstieg in Landesliga Staffel I gefeiert werden konnte. Dort lehrte man vor allem dem Lokalrivalen VfL bzw. SG Schorndorf das Fürchten, und Andreas Hilf war einer der torgefährlichsten Spieler der Landesliga.

Doch auch diese Zeiten sind mittlerweile schon lange vorbei. Das Lokalderby SC Urbach gegen SG Schorndorf findet inzwischen nur noch in der Kreisliga A statt, und die Bedingungen sind völlig anders. Schorndorf steht vor dem Aufstieg in die Bezirksliga, Urbach kämpft gegen den Abstieg in die Kreisliga B.

So kommt es zur unangenehmen Aufgabe, dass für Urbach fast schon jedes Spiel ein Endspiel ist, um sich vom unteren Tabellenende zu lösen und in sicherere Gefilde abzusetzen. Die Partie gegen den VfR Birkmannsweiler 1938, von einer Lokalzeitung schon als sichere Punkte für die Gäste deklariert, gehörte hier dazu.



Das Kreisligaspiel hatte allerdings auch einen anderen - positiven - Anreiz: ein Wiedersehen mit meinem Schulfreund Stathis, Anhänger von Aris Thessaloniki, der sich von mir Überreden ließ, mal einen Grottenkick in seinem Wohnort anzusehen. Ein Klassentreffen und Fan-Flashmob im Urbacher Wittumstadion.

Wittumstadion - ich muß zugeben, das klingt ein wenig nach Emsland oder friesischen Kriegerhäuptlingen, allerdings ist "Wittum" tatsächlich ein Rechtsbegriff aus dem Mittelalter (Puh, Wikipedia sei dank). Über die besondere Bedeutung dieser Witwenpflege für die Gemeinde Urbach, die immerhin Schulen, Straßen, Turnhallen und Fußballplätze danach benennt, habe ich mich nun nicht kundig gemacht.

Gut getarnt, aber gut besucht.
Das Wittumstadion in Urbach.
Wie üblich in kleineren Orten, verlaufe ich mich auch in Urbach gnadenlos und bin auf die Hilfe Einheimischer angewiesen, die mir schließlich den Weg  in die "ebbes verschteggt liegende" Anlage am Linsenbergweg weisen. Etwas versteckt ist gut - der Fußballplatz ist von einem kleinen, bewachsenen Hang gut getarnt!

Die Partie Urbach gegen Birkmannsweiler läuft bereits - in Form der beiden Reservemannschaften, die in der Kreisliga B gegeneinander antreten, und ich sehe noch das 3:0 für Birkmannsweiler II, dass auch den Endstand markiert. Birkmannsweiler II rückt damit in der Tabelle näher an Urbach II heran.

"Hellas!"
Schon beim betreten bemerke ich die blau-weiße griechische Flagge im Stadionrund, wo Stathis mit seiner Tochter bereits auf mich wartet. Das Wetter spielt mit, und wenn der Wind mal nicht weht, ist es in der Sonne sehr angenehm. Natürlich stehen für Stathis und mich die Wiedersehensfreude im Vordergrund, und für ihn ist der Besuch im Wittumstadion eine Premiere.

Ich bin nicht der einzige Fotograf im Rund. Auch die Mannschaft Birkmannsweiler hat einen Lichtbildkünstler mitgebracht, der die beiden Spiele seiner Mannschaft dokumentiert.

Verbeugung vor Eichhörnchen und Feldmäusen.
Unter Führung von Schiedsrichter Marcel Wacker laufen beide Teams ins Stadion ein. Das Foto von der Spielerpräsentation wirkt unfreiwillig komisch. Aber tatsächlich standen weiter rechts noch einige Zuschauer, Spieler und Referee begrüßen also nicht die Spatzen im Gebüsch.

Dennoch bleibt das Buschwerk im weiteren Spielverlauf im Blickpunkt, wenn Bälle im Strauch verschwinden und, wie Stathis und ich witzeln, "die Brutzeit der Vögel gestört wird".

Zum Spiel kann man wenig Positives erzählen. Urbach wirkt zu Beginn recht verkrampft, kommt zwar vor das VfR-Tor, scheitert aber bei Standards oder vertändelt den Ball im Angriff. Bezeichnenderweise vergibt Urbach einen frühen Elfmeter, der von Keeper Stefan Appel sicher abgewehrt wird.




Für die kleine Tochter von Stathis ist der Spielverlauf derweil völlig klar. "Langweilig". Dennoch hält sie das gesamte Spiel tapfer durch, abgesehen von den Momenten, in denen sie den Papa zur Beschaffung von Nahrung und Getränken beauftragt. Uns hingegen fällt auf, das wir mit unseren Fahnen verloren im "Gästeblock" sitzen. Um uns herum sitzen ausschließlich Zuschauer, die es mit dem VfR halten, und die nächste eindeutige SCU-Ansammlung ist das "Rentnereck", eine Veteranenversammlung, wie es auch eine im Normanniastadion gibt.














Von unseren Plätzen ist zudem die Sicht etwas eingeschränkt, da die "Wellblechhütten" - die Trainerbank - mitunter die Spieler verbergen. Ungüstig ist auch die Tartanbahn im Wittumstadion - eine echte Mehrsportanlage eben. Aber wenigstens informiert ein Stadionsprecher über Aufstellungen und Torschützen.

Eingeschränkte Sicht.

Kurz vor der Pause gehen die abstiegsbedrohten Gastgeber überraschend durch Fabio Sciurba in Führung. Bis zu diesem Zeitpunkt war das keineswegs klar, das die Hausherren hier fürs Toreschießen zuständig sind, und der VfR-Anhang ist auch sehr verärgert über den Rückstand ihres Teams.

Vorwärts Griechenland!
Ein Vorgeschmack auf die WM
Die zweite Halbzeit setzt sich mit diesem nicht gerade berauschendem Spiel fort. Die Partie wird ruppiger, immer öfter muß Wacker das Spiel unterbrechen, mehrmals die Betreuer vom Spielfeldrand zu einem am Boden liegenden Spieler winken. Insgesamt 10 gelbe Karten - wenn ich bzw. der Ergebnisdienst richtig gezählt hat - werden an beide Mannschaften verteilt.

Wie in allen Spielklassen von der Bundes- bis zur Kreisliga sieht man das Verschulden natürlich nur am Gegner und am Schiedsrichter, nicht am eigenen Team. Nach einer unschönen Spielszene ruft man von Birkmannsweiler nach einer Ahndung durch den Schiri. Von Urbachs Seite ruft man ihm verärgert zu: "Ach halt doch mal dei Gosch mit deine osachgemäßes rumgeschreie!" - Worauf man ihm von Birkmannsweiler Seite ebenso laut erwidert: "'s wird Zeit das ihr endlich absteiget ond ma auch nemme seha muß!" Selbst bei den Zuschauern aus Birkmannsweiler ruft diese Äußerung Gelächter hervor.

Selber spielen macht mehr Spaß
als nur zugucken.
In der 73. Minute ist es dann der kurz zuvor eingewechselte Manuel Evangelista, der mit dem 2:0-Treffer die Urbacher erneut jubeln läßt. Wir müssen schmunzeln, als die SC-Kicker zum jubeln vor den Büschen am Toraus versammeln. "Yeah", witzelt Stathis, "jetzt feiert man mit dem Fanblock" - ob aber Eichhörnchen oder anderes Getier in den Sträuchern dem Spielgeschehen ihre Aufmerksamkeit schenkten, war leider nicht zu eruieren.

Im Stadion beginnt der Aufbruch. Immer mehr Birkmannsweiler Zuschauer haben den Braten gerochen und machen sich langsam auf den Heimweg. Als Marcel Wacker das Spiel später abpfeift, ist der Jubel beim SC Urbach verständlicherweise groß. Schiebt sich doch das frühere "Klein-Alsenborn" am TB Beinstein vorbei einen Platz nach Oben. Für Birkmannsweiler war bereits vor dem Spiel alles jenseits von Gut und Böse. Nichtsdestotrotz hat man Urbach nichts geschenkt, und meiner Meinung hat ausnahmsweise mal der Blinde gegen den Einäugigen den Sieg eingefahren.

Nebenbei bemerkt hat das echte Alsenborn am Sonntag auch mit 2:0 einen Heimsieg eingefahren. Sachen gibt's...

Stathis und ich feierten noch ein kleines Wiedersehen, und wir machen noch ein Fotoposing zum "sind wir nicht alle ein bisschen Normannia?" - Ein-Mann-Fanfreundschaften Normannia/Aris. Paßt doch!

"Support your local football team"



Mittwoch, 9. April 2014

Weit weg vom Bökelberg - TV Derendingen gegen SC Freiburg II

So sehen Siegerinnen aus - Platz 1 gegen den SC Freiburg II verteidigt.
Gäbe es eine Zeitmaschine, der Fußballhistoriker des TV Derendingen würde gewiss ins Jahr 1951 zurückreisen, um ein Foto der Meistermannschaft nachzuholen. Damals, im entscheidenden Spiel in Reutlingen auf dem Schlackenplatz der Ringelbachstraße gegen den TSV Honau, konnte kein Foto der siegreichen Derendinger geschossen werden. Das Spiel begann so spät, dass es in völliger Dunkelheit beendet wurde. Derendingens rechter Läufer soll während der Partie seinem Mittelläufer mehrfach zugerufen haben, "Herbert schrei mr au, wenn dr Ball kommt!" Bei diesen "Licht"verhältnissen war eine fotografische Dokumentation der Siegerelf schlicht undenkbar.

Alles, was das Fanherz begeht.
Moment mal? TV Derendingen? Wo bitteschön liegt Derendingen? Ich muß gestehen, ohne die Tassensammelleidenschaft eines Hardy Grüne hätten mich meine Recherchen wohl nicht so schnell in die Tübinger Gartenstadt geführt, denn Derendingen ist seit 1938 Ortsteil der Universitätsstadt.
Der TV Derendingen führt einen mustergültigen Fanshop inklusive Fußballtassen, und durch den netten Kontakt mit dem TVD-Fanshop in Person von Susanne Dölker - bei der ich mich nochmals sehr herzlich für den freundlichen Empfang und die Hilfe im Bezug auf die Vereinsgeschichte bedanken möchte - kam es, das sich nicht nur temporär eine Fußballtasse und einige andere schwarz-rote Fanutensilien bei mir aufhalten, sondern das ich zum zweitenmal in kurzer Zeit mit der Hohenzollerischen Landesbahn fuhr. Es ist leider so, das ich zwar einiges an Material zum württembergischen Fußball besitze, den TV Derendingen aber nicht einmal in der 2. Amateurliga aufspürte. Vom Vorkriegsfußball ganz zu schweigen.

Um aber in die legendäre Tassen-Like-Liga des Fußballautors Hardy Grüne aufgenommen zu werden, da reicht es nicht, einfach "nur" eine Tasse nach Niedersachsen zu senden. Da muß auch Geschichte her, eine Seele, damit der bekennde Fan von Göttingen 05 in die Tasten haut. Da der Verein nun mal nicht zu den großen, altehrwürdigen Namen des schwäbischen Fußballs zählt, sind hierfür greifbare Ereignisse aus der Distanz nicht einzubringen. Das Dilemma ließ sich nur durch Vor-Ort-Recherche lösen, was ich als sehr spannend empfand, da ich es gerne mal der "Generation Google" (typische Wikipedia-Löschargumentation: "0 Googletreffer = unwahr") zeige, was ich mir unter Recherche vorstelle. Dazu gehören auch wieder einmal eine längere Bahnfahrt - 5 Stunden für Schwäbisch Gmünd nach Derendingen und zurück. Zur Belohnung darf ich mich jetzt als wahrscheinlich die Person bezeichnen, die sich außerhalb Tübingens am besten über die Fußballhistorie des TV Derendingen auskennt.

Wie der Vereinsname schon andeutet, handelt es sich bei dem im Jahre 1900 gegründeten Verein ursprünglich um einen reinen Turnverein, dessen Gründungsdatum 11. August bewußt gewählt wurde, da es mit dem Geburtstag von Turnvater Jahn zusammentraf. Bereits 1920 wurde eine Frauenriege gegründet, die ebenso wie die turnenden Männer einige lokale Erfolge vorweisen konnte.
Fußball wurde in Derendingen auch gespielt, aber erst seit 1924. Damals wurde der VfB Derendingen gegründet, über den man fast gar nichts weiß, außer, das die Kicker sich nicht ins Vereinsregister eintragen ließen. Die Chronisten sind sich nicht mal einig, ob die Abkürzung für "Verein für Bewegungsspiele" oder "Verein für Ballspiele" stand. Einig ist man sich nur über die Kurzlebigkeit des VfB: bereits am 21. März 1925 traten die Fußballer den Turnern bei, in einer Zeit also, in der ansonsten die Fußballabteilungen aus den Turnvereinen austraten. Ganz reibungslos ging der Beitritt allerdings nicht über die Bühne. Zahlreiche Turner mokierten sich über die 50 Mark Schulden, die die Fußballer in die Vereinsehe mitbrachten. Letztendlich übernahmen die Turner die Schulden des VfB, sagten finanzielle Unterstützung bei Auswärtsspielen zu und verplichteten sich zum Kauf von drei Fußbällen und Toren für die neue Spielabteilung. Im Gegenzug mußten sich die Fußballer im Sommer und Winter je an einen Abend geschlossen am Turnen beteiligen und auch sonst bei öffentlichen Veranstaltungen als Turnsportler betätigen.
Spieler der TVD-Reserve "überbrücken"
zu den Umkleidekabinen.
Im September 1925 wurde der Sportplatz eingeweiht, 1928 das Sporthaus der Fußballer. Ansonsten ist es merkwürdig ruhig. Lediglich wenn die Fußballer knapp bei Kasse sind - und das sind sie wohl ziemlich oft - tauchen sie in den Vereinsprotokollen auf. Überliefert ist eine Anekdote aus dem Jahr 1931, als die Spieler per Pferdefuhrwerk ins ca. 20 km entfernte Kayh zum Auswärtsspiel gekarrt wurde. Wie das Spiel endete ist nicht überliefert, aber von der ganzen Mannschaft kehrten an jenem Sonntagabend nur noch vier zurück. Der Rest trudelte erst am Montag in Derendingen ein, offenbar gefiel es ihnen im Raum Herrenberg zu gut...

Wie alle Sportvereine in Südwürttemberg wurde auch der TVD nach dem Krieg von den französischen Besatzungsbehörden verboten. Ab 1946 traten die Kicker aus dem Süden Tübingens vorübergehend unter dem Namen Sportverein Derendingen an, ehe im Herbst 1949 wieder der alte Name geführt werden durfte. Mehrmals wechselte die Ligazugehörigkeit zwischen A-Klasse (vergleichbar mit der heutigen Bezirksliga) und der B-Klasse, und auch der Aufstieg in die II. Amateurliga war ein paar mal in greifbarer Nähe, wiewohl es nie klappte. Mitglied der 1959er Meisterelf war übrigens Edgar Spies, Vater von Bundesliga-Profi Uwe Spies. Bemerkenswert in jener Zeit ist auch der zwölfmalige Gewinn des Fairneßpreises des Württembergischen Fußballverbandes, was für den sportlichen Kampfgeist der Mannschaft spricht.

1965 scheiterten die Derendinger im WFV-Pokal erst im Wiederholungsspiel des Viertelfinales am höherklassigen Stuttgarter SC, was bis dato als größter Vereinserfolg gezählt wird. 1975 stieg die Mannschaft nach 16 Jahren in der A-Klasse wieder ab, konnte 1978 allerdings die Rückkehr in die nun Bezirksliga genannte Klasse erreichen, von der das Auf und Ab wieder von vorne begann.

TVD-Fanschal.
Wahrlich nichts, was die Derendinger von anderen ähnlichen Vereinen unterscheiden würde, wären da nicht die Fußballfrauen. Frauenfußball, das muß man wissen, galt dem DFB lange Zeit als Suspekt, der "Natur des Weibes im Wesentlichen fremd", man sah "Anstand und Schicklichkeit" oder die Gebärfähigkeit der Frau in Gefahr. Klingt nach Schlagzeilen eines Satire-Magazins, ist aber traurige Realität. 1955 verbot der DFB den Frauen sogar, Fußball zu spielen, und erst am 31. Oktober 1970 rückte der Verband von dieser weltfremden Entscheidung ab. Bereits 1969 legten die Derendinger Frauen aus einer Stammtischlaune heraus vor, ebenfalls gegen das runde Leder treten zu wollen. Fußballpionierinnen im Bezirk waren Evi Hellstern, Rose Rammensee, Ulla Rösch und Gertrud Wiesenfahrt, die die Keimzelle der erfolgreichen Frauenelf bildeten. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn zunächst waren es nur exakt 11 Spielerinnen, die 1970 ihre Pässe vom Verband erhielten.

Langsam aber stetig pirschten sich die Spielerinnen in höhere Spielklassen vor, bis 2011 der Aufstieg in die Oberliga Baden-Württemberg gelang. Platz 3 in der Premierensaison und Platz 2 2013 lauten bislang die beeindruckenden Ergebnisse, und 2014 stehen die Chancen nicht schlecht, die Saison mit Platz 1 und dem neuerlichen Aufstieg zu beenden. Ein Aufstieg in die Regionalliga Süd würde auf einer Stufe mit dem Gewinn des WFV-Pokals und der anschließenden DFB-Pokal-Teilnahme 2012 stehen, als die Derendingerinnen vor 320 Zuschauer Zweitligist TSV Crailsheim mit 1:2 unterlagen. Ein Klassenunterschied war nicht erkennbar, und selbst Crailsheims Trainer Christian Isert gab unumwunden zu, das sein Team Glück hatte, die nächste Runde zu erreichen.
Auf die Leistung der Derendingerinnen durfte ich also gespannt sein, zumal zahlreiche Spielerinnen der Pokalelf in der Aufstellung standen. Passenderweise wählte ich für meinen Besuch die Spitzenpartie der Oberliga gegen den Tabellenzweiten SC Freiburg II.

Doch das war nicht das einzige Highlight des Tages. Der TV Derendingen rief zum Super-Sonntag in die Gartenstadt und bot dem Fußballbegeisterten 4 Heimspiele an, ein wahrer Fußballmarathon eben. Dafür nehme sogar ich die lange Anreise in Kauf.

Schloß Hohentübingen blickt auf
Derendingen und die Steinlach.
Von der Haltestelle Derendingen aus sind es ungefähr 25 Minuten Fußmarsch bis zur Spielstätte des TVD, und der Weg führt überwiegend idyllisch an der Steinlach entlang, einem Nebenfluß des Neckar. Derendingen scheint ein sportbegeisteter Stadtteil zu sein, denn unentwegt muß ich Hobbyläufern ausweichen. Auch mir kribbelt es in den Füßen, und ich würde am liebsten auf dieser herrlichen Strecke die Laufschuhe schnüren.




Bei meinem eintreffen ist es bereits Mittag, und auf dem Kunstrasen läuft die Schlußphase der Partie in der Regionenliga zwischen der 2. Frauenmannschaft und den Spielerinnen des FC Rottenburg 1946. Tore sehe ich keine mehr, aber die Gäste aus der Bischofsstadt siegen verdient mit 3:1.

Ich nutze meine Zeit, um Eindrücke einzusammeln. Die Derendinger Sportanlagen bestehen aus einem Rasenplatz rechts der Steinlach und einem Hartplatz links vom Fluß. Dem Umkleidetrakt und der Geschäftsstelle angeschlossen ist das Vereinsheim mit einem herrlichen Biergarten. Ich beginne davon zu träumen, das meine Normannia einmal Freitags zu einem Spiel nach Derendingen muß. Freitags deshalb, weil das Vereinsheim jeden Freitag Maultaschen in verschiedenen Varianten anbietet. Mittlerweile ist es ein Insidergag, dass ich dem Verein beitrete, der im Stadion Maultaschen anbietet. Das wäre natürlich die Krönung für den Spätzleskicker: im Biergarten sitzen, Maultaschen verzehren und gleichzeitig Fußball sehen. Der Verein beginnt, mir richtig sympathisch zu werden.
Sportplatz mit Biergarten.
Maultaschen am Freitag.




Bälle aus der Steinlach fischen.






Die heutigen Spiele finden jedoch nicht auf Rasen, sondern auf dem Hartplatz. Hierzu müssen die Aktiven eine schmale Holzbrücke überqueren. Alles wirkt eher gemütlich und nach Biergartenidylle, weniger nach harten sportlichen Kämpfen, die da noch folgen. Die Steinlach zeigt auch ein kleines Problem auf. Hier genügt es nicht, als Balljunge am Spielfeldrand zu stehen und das runde Leder mal eben wieder dem Spiel zuzuführen. Das ist vielleicht was für die Weicheier aus der Bundesliga. In Derendingen müssen die Bälle aus dem Fluß gefischt werden, und das geschieht mehr als einmal.

Parkidylle.
Auf dem Hartplatz stehen die Zuschauer direkt an den Seitenlinien. Keine Bande, kein Geländer. Mittendrin statt nur dabei. Gemütlichkeit strahlt auch der Imbissstand aus, der ein wenig nach Marke Eigenbau aussieht. Hinter dem Spielfeld mäandert friedlich ein kleines Bächlein umher, und die ganze Spielfeld-Szenerie wirkt ein wenig surreal. Ich merke: hier bin ich richtig, das ist meine Welt.

Mit etwas Verzögerung beginnt das Kreisligaspiel der 2. Männermannschaft gegen den TSV Mähringen. Derendingens Jürgen Graeff trudelt zunächst als Nachzügler ein, dann bekriddelt Schiedsrichter Volker Krissler auch noch sein Nasenpiercing, das schließlich entfernt wird. Mähringen ist ein Ortsteil von Kusterdingen, und der TSV liegt abgeschlagen auf dem letzten Platz der Kreisliga B. Das Team fällt mir dadurch auf, dass auf den Trikots zwischen TSV und Mähringen ein eigentlich unsinniger Bindestrich steht. Im Gegenzug trägt Mähringens Keeper Christoph Doll die eher seltene Rückennummer 99, was allerdings auch nicht verhindert, dass er im Laufe des Spiels 6 Tore kassiert. Trotz dieser eindeutigen und verdienten 0:6-Niederlage gehen die Mähringer recht gutgelaunt nach Hause. Es gibt wichtigere Dinge im Leben als Fußball.

99 Torhüter...
Großer Auftritt für Freiburg.











Während des Spiels tuckert von der Fuchsstraße her der Mannschaftsbus des SC Freiburg ein, offenbar auf der Suche nach dem Parkplatz. Schon beim Anblick dieses Giganten wird der Unterschied zwischen beiden Vereinen deutlich. Dort der Proficlub aus dem Breisgau, hier der Amateurverein. Die Etatunterschiede dürften gewaltig sein. Das wird mir umso bewußter, als ich nach Spielbeginn gebeten werde, meinen Eintritt zu entrichten. "Sie sind von der Presse oder so, nicht wahr?" fragt die freundliche Kassiererin mit dem TVD-Fanschal eher rhetorisch und will schon weiter gehen. "Nein, ich bin zum reinen Privatvergnügen hier. Ich muß durchaus zahlen. Was kostet es denn?" - "Ach, das ist aber nett, dass Sie so ehrlich sind. Ich wäre jetzt einfach weitergegangen. Das macht 2,50 Euro" - "So günstig? Ich komme mir ja vor wie ein Dieb!" - "Ja, wir haben vor einiger Zeit die Preise gesenkt". Nicht nur der Eintrittspreis steht im krassen Gegensatz zur Oberliga der Männer, auch andere Unterschiede fallen auf. Das bereits erwähnte stehen an der Seitenlinie, Verkauf von Getränkeflaschen aus Glas statt Bier aus Plastikbechern - irgendwie müssen wir Männer doch Schweine sein, wenn in der Fußballoberliga der Männer solche Vorschriften nötig sind, bei den Frauen hingegen angenehme Anarchie herrscht.














Das Interesse für die Partie ist groß. Mehrere Fotografen sind zugegen, zudem wird die Partie vom Schwäbischen Tagblatt filmisch festgehalten. Aber auch der Zuschauerandrang überrascht die Gastgeber, Würste und Bier gehen aus und müssen mühsam herbeschafft werden. "Wer konnte denn auch ahnen, dass so viele Leute kommen?" höre ich sagen.

Die knipsende Zunft.
In der Freiburger Mannschaft stehen nur drei Spielerinnen aus dem Hinspiel, der Rest tritt für gewöhnlich im Bundesligateam an. Doch auch in Derendingen läßt man sich nicht so einfach die Butter vom Brot nehmen.
"Sag' mal, ich dachte wir spielen heute auf dem Rasenplatz", fragt eine etwas später hinzugekommene Zuschauerin, "warum wird dann auf dem Hartplatz gespielt?" - "Weil se in Freiburg koin Kunschtrasa hän ond dr Ball da andersch hupft" lautet die lapidare Antwort.

Weit weg vom Bökelberg.
Das Spiel wird geleitet von Nathalie Eisenhardt, die auch schon das WFV-Pokalendspiel des TV Derendingen pfiff. Ich geselle mich zu einem kleinen Grüppchen direkt am Spielfeldrand, dort, wo man den Ball noch in die - Pardon - Fresse kriegen kann.
Besonders ein Mann mit Gladbach-Mütze und -Armbanduhr finde ich sympathisch, der trotz Bundesliga-Fanartikel zum TVD hält. Vor allem als sein Sohn aufgeregt zu ihm gesprungen kommt, ist es schwer ernst zu bleiben. "Papa, Papa, wir hän am Bach a Lager gfunda!" - "Oh, nimms bloß ned mit Hoim. Außer 's isch a Getränkelager, na könne ma nomal drüber schwätza" meint der Borussen-Papa.

Die Freiburgerinnen, das muß man eingestehen, sind balltechnisch gewitzter und Siegeshungrig. Gnadenlos nutzen sie entstehende Lücken der Derendinger Verteidigung und rennen das Tor von Melanie Bölzle an, doch die läßt sich nicht beirren.
Als eine Freiburgerin mal wieder durchzubrechen droht, geht ein Raunen durch das Publikum. "Puh, gut das  ma auf 'em Kunschtrasa schpielat. Auf 'em Rasa wär se jetzt durchgwä" meint einer der Zuschauer.

Die Halbzeit lautet 0:0, trotz technischer Überlegenheit der Breisgauerinnen stehen zwei gleichwertige Teams auf dem Platz. Die zweite Hälfte ließ die Derendingerinnen aggressiver vor dem Tor der Gäste auftauchen, ohne das es im Gegenzug im Gehäuse Melanie Bölzles langweiliger werden würde.

Nach einer Stunde geschieht es: Freiburgs Torhüterin Teresa Straub bringt Simone Leins im Strafraum zu Fall, was mit einer Gelben Karte und Strafstoß geahndet, den Tina Wurster sicher verwandelt. Ein kleiner Hartplatz im fernen Tübingen steht Kopf - das könnte es am Bökelberg nicht besser geben.

Auf Foul ...
... folgt Elfmeter ...


... folgt grenzenloser Jubel!
Natürlich resigniert Freiburg nicht, hat auch die Chance zum Ausgleich, aber Bölzle verhindert das Tor, wobei einer Zuschauerin nach eigenen Worten "beinahe das Herz stehengeblieben wäre. Macht die Melli doch glatt einen Halbspagat zur Abwehr".
Auch Derendingen hat die Möglichkeit auf 2:0 zu erhöhen - Aber es fallen keine weitern Tore mehr in diesem Spiel.

Beim TVD ist der Jubel verständlicherweise groß, erhöht man doch den Abstand zu Freiburg auf 5 Punkte, kommt dem Ziel Aufstieg einen Schritt näher - auch wenn ein paar Zuschauer nicht sicher sind, ob die nächsthöhere Liga Regional-, Regionen-, Landes- oder Verbandsliga heißt.

Spielerinnen und Zuschauerinnen fallen in verdiente Jubelarien ein (siehe Titelbild), und schon geht es los mit dem letzten Spiel des Tages, dem Spiel der 1. Männermannschaft gegen den TB Kirchentellinsfurt. Kirchentellinsfurt, dieser Name sagt sogar mir etwas, war die Mannschaft doch lange genug in der Landesliga und gastierte schon im WFV-Pokal. Zudem ist der TB ein Team, das seinen Namen nicht auf die Trikots bekommt.




Landesliga ist ein Ziel, dass der TVD auch endlich einmal erreichen will, doch dazu müssen heute Punkte her. Die Derendinger zaudern auch nicht lange, stürzen sich aufs Gästetor. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis der Gastgeber in Führung geht, und es seiner Reserve und den Frauen nach macht.

Ich stehe direkt hinter Derendingens Trainer Peter Kaschuba und bei den Auswechselspielern - wo bitte gibt es das im Profifußball? - und schaue auch Susanne Dölker über die Schulter, die als Ordnerin fungiert, aber auch Fotos für den Verein schießt.









In der 26. Minute ist es dann soweit: Derendingen geht verdient in Führung. Allerdings muß wie bei den Frau ein Elfmeter her, der in diesem Fall zweimal ausgeführt werden muß. Aber Mohammed Arfaoui behält zweimal Nerven und verwandelt sicher zum 1:0.

1:0 im zweiten Versuch.


Francesco Cuttaia
Leider kann ich nur die erste Halbzeit verfolgen, und muß um 17 Uhr gehen, damit ich meinen Zug erreiche. Schließlich trudele ich erst um 20:30 Uhr Zuhause ein. Wahrscheinlich aber immer noch früher als die Freiburger, deren Bus zugeparkt ist und dem Busfahrer zu verzweifeltem Hupen veranlaßt.

Zuvor lichte ich einen noch strahlenden Francesco Cuttaia ab, und nötige die Ersatzspieler zu einem "Sind wir nicht alle Normannia?"-Fotoposing, dann muß ich schon wieder zum kleinen Derendinger Bahnhof.

Die zweite Halbzeit endet nicht so glücklich, Derendingen kassiert 4 Treffer und muß sich zunächst von Aufstiegsträumen verabschieden. Irgendwie hat doch mein Heimfluch wieder zugeschlagen. Andererseits kann ich es mir auf die Fahnen schreiben, dass es während meiner Anwesenheit in 3 Spielen 8:0 für Derendingen stand. Vielleicht bin ich ja doch eine Art Maskottchen?

Sind wir nicht alle ein bisschen Normannia?
Benjamin Klett, Emre Bas und Manuel Binder.
Hat sich die Reise für mich gelohnt? Absolut! Ich glaube, ich habe diesen Verein ins Herz geschlossen, diese Kombination aus Amateurismus und sportlichen Erfolg - besonders bei den Frauen - gefällt mir. Auch der Zuschauerzuspruch, die Vereinsverbundenheit, findet meine Sympathie, lediglich eine kleine sangesfreudige und stimmgewaltige Fangruppe vermisse ich, und die hätten die TVD-Frauen wahrlich verdient.
Einen auswärtigen Anhänger dürfen die Derendinger jedenfalls als Neuzugang verbuchen: mich.
Ich ärgere mich nur über zwei Dinge. Erstens hätte ich noch einen TVD-Schal kaufen sollen, um die neue Verbundenheit nach außen zu tragen. Zweitens bin ich im Nachklang enttäuscht, dass ich den 19. April bereits per Ehrenwort anderweitig verplant habe. Da spielen die Derendingerinnen nämlich im Viertelfinale des WFV-Pokals bei der SpVgg Rommelshausen. Und Rommelshausen, ja das ist jetzt wirklich nur einen Katzensprung von Schwäbisch Gmünd entfernt. Da hätte ich mich auch zu echten "Te-Vau-De"-Gesängen hinreissen lassen. Versprochen!

TV Derendingen - Immer am Ball.
Spielberichte:
Schwäbisches Tagblatt: TV Derendingen gewinnt 1:0 gegen den SC Freiburg II
Die Ligen: Video zum Spiel TV Derendingen gegen SC Freiburg II 
Statistik-Klein: Glücklicher Sieg der Derendinger Damen gegen den SC Freiburg II
Reutlinger Generalanzeiger: Aufstieg in die Regionalliga winkt
TV Derendingen (Männer): Kirchentellinsfurt stoppt TVD-Siegesserie
TV Derendingen II (Frauen): Das war wohl nichts

Sonntag, 6. April 2014

Tag der Heimpleiten - FC Normannia Gmünd gegen VfB Neckarrems

Hatten vor und nach dem Spiel gut lachen.
Die mitgereisten Anhänger des VfB Neckarrems.

Es ist nicht einmal ein schwacher Trost zu wissen, dass sich der FCN am 22. Spieltag der württembergischen Verbandsliga nur in eine lange Reihe von - nennen wir es mal positiv - "in Bezug auf die Punkt- und Torausbeute aus Sicht der Heimmannschaft nicht gerade erfolgreich verlaufenen Spielbegnung" anschließt.

Größter Paukenschlag war gewiss die 0:1-Heimpleite des VfR Aalen II gegen den FC Wangen 05, wo Nici Jann mit einem Schuß aus 20 Metern Entfernung das Tor des Tages erzielte. Der SV Böblingen kämpft sich mit einem 1:0-Auswärtssieg beim Göppinger SV aus den Direktabstiegsplätzen heraus. Nagold, unser nächster Gegner, gewinnt 1:0 beim SV Bonlanden, und just unser FC Normannia unterliegt 0:1 gegen den VfB Neckarrems.
Die anderen Ergebnisse endeten Unentschieden, und sollte es beim Sonntagsspiel zwischen Großaspach II und den Sportfreunden Schwäbisch Hall einen Sieger geben, so dürften das nur die blau-weißen Kicker aus der Salzsiederstadt mit einem 0:1 sein. Ich muß eben mal ins Wettbüro... [Nachtrag: Die Haller gewannen tatsächlich mit 2:0; Heimpleitentag komplett]

Nein, es ist überhaupt kein Trost. Normannia hat ein Heimspiel verloren, rutscht in der Tabelle weiter ab und steht in der Tabelle nur noch drei Punkte vor der Reserve der Großaspacher. Es geht zu wie im Treibsand: je mehr sich Normannia wehrt, desto tiefer rutscht sie ab.

Die 320 Zuschauer im Schwerzer sahen eine andere Normannia, als noch vor Wochenfrist in Schwäbisch Hall. Diesmal stellte sich die Mannschaft nicht tot wie ein Opossum, sondern änderte die Taktik auch "immer feste druff wie Blücher". Dass das Spiel spannend war zeigt sich dadurch, dass ich so gut wie keine Bilder gemacht habe, sondern mich ganz auf das Geschehen des Rasens konzentrierte. Leider ohne Happy End. Ich bin zwar ein großer Freund Shakespear'scher Dramen, im echten Leben möchte ich jedoch darauf verzichten.

Der Reihe nach. Mit dem VfB Neckarrems gastierte eine unbequeme Mannschaft im Schwerzer, spezialisiert auf gefährliche Konter, wie mir Bredi beim Eintreffen im Vereinsheim erläutert. Auch wenn das Hinspiel mit 1:0 für die Normannen ausging: der VfB ist eine Elf, mit der man rechnen muß.

Eigentlich gastiert ja gar nicht der 1913 gegründete VfB in Gmünd - der Mehrspartenverein mußte im Jahr seines hundertjährigen Jubiläums Insolvenz anmelden - sondern die aus dem Mutterverein herausgelöste Fußballabteilung, die unter der Bezeichnung VfB Neckarrems Fußball oder ganz offiziell unter dem sehr einprägsamen Namen VfB Neckarrems - Fußball in Remseck am Neckar e.V. aufläuft. Auf den Fußballtassen steht schlicht und einfach "Remser", was dann auch mehr auf die Bevölkerung übertragbar ist.

Trotz der über hundertjährigen Geschichte des Fußballs in Remseck trat der VfB in der überregionalen Geschichte relativ spät in Erscheinung, dafür aber umso rasanter. Trat man lange Zeit in der Bezirksliga Enz/Murr gegen abgestürzte Traditionsvereine wie FV Kornwestheim, FC Marbach oder TSV Eltingen an, so gelang 2006 der Aufstieg in die Landesliga Staffel 1, die bereits 2009 Richtung Verbandsliga Württemberg verlassen wurde. Damit nicht genug gingen die Remser als kecker Neuling mit dem 2. Platz - punktgleich mit dem Lokalrivalen SpVgg Ludwigsburg - in die Relegation zur Oberliga Baden-Württemberg, die gegen den badischen Vertreter Germania Friedrichstal auch noch erfolgreich verlief. Neckarrems erwies sich dabei auch als Zuschauerkrösus der Verbandsliga, im Schnitt sahen 513 Menschen den VfB im heimischen Geläuf, Neckarrems war hungrig auf Fußball.
In der Oberliga tanzte das Team allerdings nur einen Sommer, und ist seitdem im Mittelfeld der Verbandsliga anzutreffen.

Zahlreiche mitgereisten Anhänger des VfB sorgen für einen schwarz-roten Tag im Schwerzer - einzig der erhoffte Anhänger mit der Fankutte fehlt, den ich gerne für Hardy Grüne abgelichtet hätte. "Da sind ja mehr vom VfB als von der Normannia im Stadion" meint ein Remser zu mir. "Des isch in Gmend koi großes Kunststück" erwidere ich. Die Remser Anhänger sind in der Tat optisch auffällig, fast jeder ist mit Schal unterwegs. Akkustisch ist im Spiel allerdings nichts zu hören. Im Hinspiel müssen sie, wie Bredi berichtete, auf die lautstarken "FCN"-Rufe der Normannia immer mit "CDU" geantwortet haben. Als sie so freundlich sind um für mein Gruppenfoto zu posieren, rufen sie auch zuversichtlich "Vorwärts die Roten!". Daraufhin erwidere ich scherzend: "Gerne. Das ist auch unser Schlachtruf". Beide Mannschaften spielen traditionell in Rot, heute müssen die Gäste jedoch in Hellblau-Weiß auflaufen.

Trugen auch zur Anfeuerung bei.
Jugendliche des FC Normannia.
Nun gut, die Lärmpegel-Hohheit liegt bei den Anhänger der Normannia, und sicherheitshalber entschuldige ich mich beim FCN-Präsident Albert Klammer für etwaige Anzeigen wegen Ruhestörung. "Ach was", meint er sichtlich gutgelaunt, "das ist doch gut so. Genau so soll es sein".

Das benachbarte "Rentereck" ist auch gut gelaunt, ich versuche doch gleich einmal, lautstarke Unterstützung einzufordern. "Sie haben doch damals bestimmt noch die Hochphase des Vereins erlebt, als die Zuschauer den Schwerzer zum beben brachte?" frage ich solch' einen Veteran, nicht ohne Hintergedanke. "Oh ja, des stimmt wohl, da gings domals rond hier!" - "Dann zeiget se ons Jungspund doch, wie ma es richtig macht und feurat se die Normannia mal richtig a..." - "Ach... damals gings ja no um ebbes, des isch heut ja nemme so..." redet er sich lächelnd heraus.

Wenn es schon nicht regnet, machen
wir den Rasen nass.
Die Remser Reserve.
Wie erwähnt steht eine andere Normannia auf dem Platz. Trainer Patrick Widmann muß seinen Jungs nach dem Hall-Spiel ordentlich die Ohren langezogen haben, zumindest kämpfen sie. Dennoch gelingt es nicht, die starke Defensive der Neckarremser auszuhebeln. "Da hilft alles schreien nicht", wie es letzte Woche in Hall zu mir hieß.

Vieles kommt zusammen. Die Führung der Gäste, der Ausfall von Kapitän Molinari, der während des Spiels ausgewechselt werden muß. Und natürlich der Schiedsrichter, der der Normannia einen klaren Elfmeter verweigert, der zumindest den Ausgleich hätte herstellen können. Viele hadern mit dem Mann in Schwarz, schon lange habe nicht mehr gehört, wie "Schieber! Schieber!" nach Spielende aus dem Publikum in Richtung des Schiri gerufen wird. "Zückt der gerade eine gelbe Karte, oder schaut der noch mal auf seinen Wettschein?" höre ich während des Spiels aus dem Publikums.

Im Duell der Tabellennachbarn gehen die Neckarremser als Sieger aus einem Spiel hervor, das eigentlich keinen Sieger verdient hat. Letztlich verdient, da sie ihre Chancen konsequenter nutzten. Normannia steckt wieder im Abstiegsstrudel, muß jetzt zum Kellerduell nach Nagold.

In alter Zeit hieß es in vergleichbaren Situationen im Schwerzer stets, "jetzt im Unglück nun erst recht!"
Mit diesem Kampfruf der Altvorderen auf den Lippen müssen die Normannen im Schwarzwald auftreten, müssen rennen, brennen, schießen, siegen! Jedes Spiel ist jetzt ein Endspiel. "Forza Normannia!"

Spielberichte:
Bietigheimer Zeitung: PAscal Hemmerich erzielt das goldene Tor
VfB Neckarrems
Rems-Zeitung: FCN verliert Heimspiel mit 0:1
schwäbische.de: Viel Schlimmer geht's nimmer