Montag, 14. April 2014

„Wird Zeit, das Ihr endlich absteigt!“ - SC Urbach gegen VfR Birkmannsweiler

Internationales Flair im Wittumstadion
Konrad Hornschuch AG
Auf den SC Urbach freute ich mich schon lange. Urbach ist eine Gemeinde mit 8.600 Einwohnern im Rems-Murr-Kreis entlang der Remsbahn, so das ich mit meiner Wochenkarte quasi zum Schwaben-Nulltarif anreisen kann. Normalerweise ist die Obstbaugemeinde Ausgangs- oder Endpunkt für Wanderungen, denn von Urbach aus sind sowohl der Schurwald im Süden als auch der Schwäbisch-Fränkische Wald im Norden bequem zu erreichen. Mir persönlich gefällt in Urbach das alte Fabrikgebäude der Firma Konrad Hornschuch, ein Ziegelsteinbau, Zeitzeuge der einstmals so bedeutenden schwäbischen Textilweberei.

Der SC Urbach ist zwar ein relativ junges Gebilde - ein Mehrspartenverein, 1988 entstanden durch Fusion der beiden Ortsrivalen 1. FC-TV Urbach und TSV Urbach - aber besonders der 1. FC Urbach war in der Vergangenheit kein Unbekannter.

"In Urbach sind die Punkte bekanntlich schwer zu holen" eröffnete beispielsweise die Rems-Zeitung im Dezember 1932  ihren Bericht zum Favoritensturz des 1. FC Eislingen in der kleinen Landgemeinde. Urbachs Heimstärke war gefürchtet und trug wesentlich zum Aufschwung des kleinen Fußballvereins bei, der in seiner Hochphase gerne mit dem legendären SV Alsenborn verglichen wurde.

Ein langer Blick zurück über diese spannende Vereinsgeschichte scheint angebracht. Wie so vieles in Urbach etwas ungewöhnlich ist, so auch die Urzeit des Fußballs. Alles begann mit einem Stammtisch im Gasthaus Adler, wo 1899 ein "Club der Gemütlichkeit" ins Leben gerufen wurde. Dieser traf sich dort regelmäßig zu seinem Stammtisch, der sinnigerweise den Namen "zum feuchten Eck" erhielt, was wohl mehr auf der Vernichtung von Hopfenprodukte schließen läßt. Offenbar aus einer Stammtischlaune heraus kommen die beiden Urbacher Fußballpioniere Gottlob Walter und Friedrich Bertsche im März 1921 auf den Gedanken, in Urbach gegen einen Lederball zu treten, was mit der Gründung des 1. Fußball-Clubs auch geschah.

Schwierigkeiten bereitete der Gemeinderat, der dem Verein zunächst mal keinen geeigneten Platz zur Verfügung stellen wollte. Der Verein, so die Honorationen, solle erst mal seine Lebensfähigkeit beweisen. Man war offenbar damals der Ansicht, dass die „narrede Kerle, die uf de Wiesa em a Ball nochsaua ond nex wiea d’Schua zemahauet“ bald die Lust am Fußball verlieren würden, wenn man ihnen nur einen schlechten Untergrund gewährt. Die Fußballbegeisterten ließen sich jedoch nicht beirren, entwässerten die untaugliche Kiesgrube und schufen sich - allen Anfeindungen zum Trotz - bald ihre fußballerische Heimat. Ruhe hatten sie deshalb noch lange nicht. Immer wieder versuchte man, die "Fußballnarren" am Spielen zu behindern, sei es durch Lagen an Mist, die am Spielfeldrand aufgeschichtet wurden, dem entleeren der Abortgruben auf dem Spielfeld oder wildgewordenen Bäuerinnen, die während eines Spieles versuchten, den Ball zu stiebitzen. Urbachs Fußballhistorie ist voll von solchen heute komisch anmutenden Anekdoten.

Im Punktspielbetrieb startete die Mannschaft in der C-Klasse, kämpfte sich in die B-Klasse vor und erreichte 1926 die A-Klasse im Bezirk. 1930 stieg der Verein sogar in die Kreisliga Cannstatt auf - damals zweithöchste Spielklasse im deutschen Ligasystem - und traf dort auf bekannte Namen wie Sportfreunde 02 Eßlingen, der SpVgg Cannstatt, dem VfR Aalen, dem Stuttgarter SC oder - 1. FC Normannia Gmünd. Auswärts holten die Urbacher allerdings nur einen einzigen Punkt (ein 1:1 bei Viktoria Untertürkheim), Zuhause konnten sie allerdings doch das ein oder andere mal die Gegner ärgern. Auch Normannia lernte die Heimstärke Urbachs kennen, und unterlag 3:6.

Am Ende der Saison stand der 1. FC Urbach auf dem letzten Platz und hätte eigentlich wieder absteigen müssen, wäre nicht die Kreisliga Hohenstaufen ins Leben gerufen worden, der auch die Urbacher zugeordnet wurden, aber auch dort regelmäßig in der unteren Hälfte anzutreffen waren. Nach 1933 erfolgte mal ein Abstieg, aber ansonsten konnte sich Urbach in der 2. Spielklasse halten. 1941 klopften die Remstäler sogar ans Tor der Gauliga Württemberg, scheiterten jedoch bereits in der Qualifikation zur Aufstiegsrunde am Göppinger SV.

Der alte Sportplatz, der der
"Ortsmitte 2" weichen soll.
Kam der Sport im Laufe des 2. Weltkriegs zum erliegen, so nahmen die Urbacher unmittelbar nach Kriegsende den Spielbetrieb wieder auf. Zunächst im Bezirk Stuttgart, ab 1946/47 im Bezirk Rems/Murr. Im April 1948 fusionierten die Fußballer mit dem Turnverein Unterurbach 1897 zum 1. FC-TV Urbach 1897. Unter diesem Namen feierten die Remstäler ihre größten Erfolge und sind dem Fußballhistoriker geläufig.

Nach ein paar Jahren in der A-Klasse kam 1955 die Ligameisterschaft mit sagenhaften 35-5 Punkten, wobei die 5 Minuspunkte ausschließlich durch Unentschieden verursacht wurden. Auch der Aufstiegsmarathon - Urbach mußte 11x antreten! - endete erfolgreich und der FCTV stieg in die II. Amateurliga, Staffel Stuttgart auf. Dort etablierte man sich ziemlich schnell gegen altehrwürdige Namen wie VfB Stuttgart (Amateure), Sportfreunde Stuttgart, SpVgg Feuerbach, Ludwigsburg und Böblingen. Dabei mussten die Urbacher in ihrer Premierensaison sogar auf andere Sportplätze ausweichen, da der Fußballplatz des FCTV einem Hochwasser zum Opfer fiel.

Dann kam der 22. November 1958. Vor einer traurigen Kulisse von 600 Zuschauern im fernen Munderkingen bezwang der FC-TV Urbach im Endspiel des WFV-Pokals den FC Wangen 05 durch Tore von Neuhäuser, Lang und Spielführer Rudi Degele mit 3:1, und holte den Pokal ins damalige 2.600-Seelen-Dorf. Im Süddeutschen Pokal, an dem der WFV-Pokalsieger teilnehmen durfte - schieden die Urbacher allerdings am 4. Januar 1959 gleich in der 1. Hauptrunde mit einem 2:6 gegen den SSV Reutlingen aus.

In der Liga gelang 1968 der Aufstieg in die I. Amateurliga Nordwürttemberg, die sportlich nach 2 Jahren wieder verlassen werden mußte. Allerdings war sich der Verein auch bewußt, dass ein sportlicher Verbleib in der höchsten Amateurklasse nicht zu finanzieren war. Der Rest der Urbacher Fußballgeschichte ist schnell erzählt. Das "Remstäler Alsenborn" hielt sich zunächst in der II. Amateurliga und feierte 1971 nicht nur sein 50-jähriges Jubiläum, sondern zusammen mit Borussia Mönchengladbach das erste und letze mal eine Deutsche Meisterschaft in Urbach. Urbachs Kicker durften dabei stolz die Meisterschale präsentieren. 1974 stieg der FCTV ab und verschwand auf Nimmerwiedersehen aus höheren Spielklassen, um im Bezirk Rems/Murr auf Punktejagd zu gehen.

Nach der großen Ligareform mit der Einführung der Oberliga Baden-Württemberg war es dem Nachfolgeverein SC Urbach vorbehalten, 1992 ins überregionale Blickfeld zu rücken, als die Bezirksmeisterschaft und der Aufstieg in Landesliga Staffel I gefeiert werden konnte. Dort lehrte man vor allem dem Lokalrivalen VfL bzw. SG Schorndorf das Fürchten, und Andreas Hilf war einer der torgefährlichsten Spieler der Landesliga.

Doch auch diese Zeiten sind mittlerweile schon lange vorbei. Das Lokalderby SC Urbach gegen SG Schorndorf findet inzwischen nur noch in der Kreisliga A statt, und die Bedingungen sind völlig anders. Schorndorf steht vor dem Aufstieg in die Bezirksliga, Urbach kämpft gegen den Abstieg in die Kreisliga B.

So kommt es zur unangenehmen Aufgabe, dass für Urbach fast schon jedes Spiel ein Endspiel ist, um sich vom unteren Tabellenende zu lösen und in sicherere Gefilde abzusetzen. Die Partie gegen den VfR Birkmannsweiler 1938, von einer Lokalzeitung schon als sichere Punkte für die Gäste deklariert, gehörte hier dazu.



Das Kreisligaspiel hatte allerdings auch einen anderen - positiven - Anreiz: ein Wiedersehen mit meinem Schulfreund Stathis, Anhänger von Aris Thessaloniki, der sich von mir Überreden ließ, mal einen Grottenkick in seinem Wohnort anzusehen. Ein Klassentreffen und Fan-Flashmob im Urbacher Wittumstadion.

Wittumstadion - ich muß zugeben, das klingt ein wenig nach Emsland oder friesischen Kriegerhäuptlingen, allerdings ist "Wittum" tatsächlich ein Rechtsbegriff aus dem Mittelalter (Puh, Wikipedia sei dank). Über die besondere Bedeutung dieser Witwenpflege für die Gemeinde Urbach, die immerhin Schulen, Straßen, Turnhallen und Fußballplätze danach benennt, habe ich mich nun nicht kundig gemacht.

Gut getarnt, aber gut besucht.
Das Wittumstadion in Urbach.
Wie üblich in kleineren Orten, verlaufe ich mich auch in Urbach gnadenlos und bin auf die Hilfe Einheimischer angewiesen, die mir schließlich den Weg  in die "ebbes verschteggt liegende" Anlage am Linsenbergweg weisen. Etwas versteckt ist gut - der Fußballplatz ist von einem kleinen, bewachsenen Hang gut getarnt!

Die Partie Urbach gegen Birkmannsweiler läuft bereits - in Form der beiden Reservemannschaften, die in der Kreisliga B gegeneinander antreten, und ich sehe noch das 3:0 für Birkmannsweiler II, dass auch den Endstand markiert. Birkmannsweiler II rückt damit in der Tabelle näher an Urbach II heran.

"Hellas!"
Schon beim betreten bemerke ich die blau-weiße griechische Flagge im Stadionrund, wo Stathis mit seiner Tochter bereits auf mich wartet. Das Wetter spielt mit, und wenn der Wind mal nicht weht, ist es in der Sonne sehr angenehm. Natürlich stehen für Stathis und mich die Wiedersehensfreude im Vordergrund, und für ihn ist der Besuch im Wittumstadion eine Premiere.

Ich bin nicht der einzige Fotograf im Rund. Auch die Mannschaft Birkmannsweiler hat einen Lichtbildkünstler mitgebracht, der die beiden Spiele seiner Mannschaft dokumentiert.

Verbeugung vor Eichhörnchen und Feldmäusen.
Unter Führung von Schiedsrichter Marcel Wacker laufen beide Teams ins Stadion ein. Das Foto von der Spielerpräsentation wirkt unfreiwillig komisch. Aber tatsächlich standen weiter rechts noch einige Zuschauer, Spieler und Referee begrüßen also nicht die Spatzen im Gebüsch.

Dennoch bleibt das Buschwerk im weiteren Spielverlauf im Blickpunkt, wenn Bälle im Strauch verschwinden und, wie Stathis und ich witzeln, "die Brutzeit der Vögel gestört wird".

Zum Spiel kann man wenig Positives erzählen. Urbach wirkt zu Beginn recht verkrampft, kommt zwar vor das VfR-Tor, scheitert aber bei Standards oder vertändelt den Ball im Angriff. Bezeichnenderweise vergibt Urbach einen frühen Elfmeter, der von Keeper Stefan Appel sicher abgewehrt wird.




Für die kleine Tochter von Stathis ist der Spielverlauf derweil völlig klar. "Langweilig". Dennoch hält sie das gesamte Spiel tapfer durch, abgesehen von den Momenten, in denen sie den Papa zur Beschaffung von Nahrung und Getränken beauftragt. Uns hingegen fällt auf, das wir mit unseren Fahnen verloren im "Gästeblock" sitzen. Um uns herum sitzen ausschließlich Zuschauer, die es mit dem VfR halten, und die nächste eindeutige SCU-Ansammlung ist das "Rentnereck", eine Veteranenversammlung, wie es auch eine im Normanniastadion gibt.














Von unseren Plätzen ist zudem die Sicht etwas eingeschränkt, da die "Wellblechhütten" - die Trainerbank - mitunter die Spieler verbergen. Ungüstig ist auch die Tartanbahn im Wittumstadion - eine echte Mehrsportanlage eben. Aber wenigstens informiert ein Stadionsprecher über Aufstellungen und Torschützen.

Eingeschränkte Sicht.

Kurz vor der Pause gehen die abstiegsbedrohten Gastgeber überraschend durch Fabio Sciurba in Führung. Bis zu diesem Zeitpunkt war das keineswegs klar, das die Hausherren hier fürs Toreschießen zuständig sind, und der VfR-Anhang ist auch sehr verärgert über den Rückstand ihres Teams.

Vorwärts Griechenland!
Ein Vorgeschmack auf die WM
Die zweite Halbzeit setzt sich mit diesem nicht gerade berauschendem Spiel fort. Die Partie wird ruppiger, immer öfter muß Wacker das Spiel unterbrechen, mehrmals die Betreuer vom Spielfeldrand zu einem am Boden liegenden Spieler winken. Insgesamt 10 gelbe Karten - wenn ich bzw. der Ergebnisdienst richtig gezählt hat - werden an beide Mannschaften verteilt.

Wie in allen Spielklassen von der Bundes- bis zur Kreisliga sieht man das Verschulden natürlich nur am Gegner und am Schiedsrichter, nicht am eigenen Team. Nach einer unschönen Spielszene ruft man von Birkmannsweiler nach einer Ahndung durch den Schiri. Von Urbachs Seite ruft man ihm verärgert zu: "Ach halt doch mal dei Gosch mit deine osachgemäßes rumgeschreie!" - Worauf man ihm von Birkmannsweiler Seite ebenso laut erwidert: "'s wird Zeit das ihr endlich absteiget ond ma auch nemme seha muß!" Selbst bei den Zuschauern aus Birkmannsweiler ruft diese Äußerung Gelächter hervor.

Selber spielen macht mehr Spaß
als nur zugucken.
In der 73. Minute ist es dann der kurz zuvor eingewechselte Manuel Evangelista, der mit dem 2:0-Treffer die Urbacher erneut jubeln läßt. Wir müssen schmunzeln, als die SC-Kicker zum jubeln vor den Büschen am Toraus versammeln. "Yeah", witzelt Stathis, "jetzt feiert man mit dem Fanblock" - ob aber Eichhörnchen oder anderes Getier in den Sträuchern dem Spielgeschehen ihre Aufmerksamkeit schenkten, war leider nicht zu eruieren.

Im Stadion beginnt der Aufbruch. Immer mehr Birkmannsweiler Zuschauer haben den Braten gerochen und machen sich langsam auf den Heimweg. Als Marcel Wacker das Spiel später abpfeift, ist der Jubel beim SC Urbach verständlicherweise groß. Schiebt sich doch das frühere "Klein-Alsenborn" am TB Beinstein vorbei einen Platz nach Oben. Für Birkmannsweiler war bereits vor dem Spiel alles jenseits von Gut und Böse. Nichtsdestotrotz hat man Urbach nichts geschenkt, und meiner Meinung hat ausnahmsweise mal der Blinde gegen den Einäugigen den Sieg eingefahren.

Nebenbei bemerkt hat das echte Alsenborn am Sonntag auch mit 2:0 einen Heimsieg eingefahren. Sachen gibt's...

Stathis und ich feierten noch ein kleines Wiedersehen, und wir machen noch ein Fotoposing zum "sind wir nicht alle ein bisschen Normannia?" - Ein-Mann-Fanfreundschaften Normannia/Aris. Paßt doch!

"Support your local football team"



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