Sonntag, 4. Mai 2014

In Überzahl läuft es .... nicht - FSV 08 Bissingen gegen FC Normannia Gmünd


Um 15:30 Uhr war die Welt noch in Ordnung.
Mit gemischten Gefühlen ging die Fahrt nach Bietigheim-Bissingen. Einerseits machte der verdiente Erfolg gegen Sindelfingen in der Vorwoche Mut, andererseits machte es die Mannschaft zum Spielende unnötig spannend. Zudem haben die Verfolger ihr Pflichtprogramm allesamt erfüllt, und durch die beiden Freitagsspiele rutschte die Normannia jetzt aktuell auf den gefährlichen 12. Platz.

Da kommt die Auswärtsfahrt zum Tabellenzweiten etwas ungünstig. Die Bissinger stehen völlig verdient auf dem 2. Platz, und Zuhause verloren sie nur ein Spiel, kassierten gar nur 3 Gegentreffer. Ehrlich gesagt, nach der Leistung der letzten Spieltage zu werten, wäre es angenehmer für die Schwerzer-Elf, zum Tabellenführer VfR Aalen II zu fahren. Da wären Punkte einfacher zu verdienen.

Da Fußballfans auch ein klein wenig abergläubig sind, unterstützte mich heute ein Fanschal des SC Göttingen 05Hardy Grüne, Autor zahlreicher Fußballbücher, Journalist und Extremradsportler war der Ansicht, ich könnte etwas Farbe zum rot-weiß der Normannia gebrauchen. "Warum eigentlich nicht", dachte ich so, "die Göttinger waren in der Vergangenheit oft für Überraschungen gut. Dann möge ein wenig SC-05-Magie auf das Normannia-Spiel niederkommen".
Im letzten Spiel brachte der Fanschal des TV Dereningen ja Glück, vielleicht hilft der Göttinger Kollege ja, um wenigstens das 1:1 aus dem Hinspiel zu wiederholen?
In verzeweifelten Situationen greift man zu allen Maßnahmen, um sein Team punkten zu sehen. Die Katze gehört übrigens nicht zur Fanausstattung.

Wenn von Fußball in Bietigheim-Bissingen die Rede ist, dann denken die Fußballtraditionalisten zunächst mal an den SV Germania Bietigheim, Traditionsverein und alter Rivale der Normannen. Doch die ruhmreichen Zeiten der Amateurliga Nordwürttemberg sind schon lange vorbei für die blau-weißen Germanen, die nur noch in der Bezirksliga antreten, und auch innerstädtisch haben andere blau-weiße Kicker die Führungsrolle längst übernommen.

Der FSV 08 Bissingen taucht zwar erst in der jüngeren Vergangenheit im überregionalen Blickfeld auf, dennoch kann er auf eine lange Tradition zurückblicken. Gegründet wurde der Verein 1908 als FC Viktoria Bissingen. Bissingen gehört somit zu den damaligen schwäbischen Landgemeinden, die bereits vor 1914 einen Fußballverein besaßen, was keine Selbstverständlichkeit war. Üblicherweise begann die Fußballära auf dem Land erst ab 1920. Allerdings hatte Bissingen damals bereits eine nennenswerte Größe, der Einfluß der Industrie war zudem auch zu spüren. Der Ball zur Vereinsgründung rollte dabei aus Heilbronn herüber, "Entwicklungshelfer" waren zwei Herren namens Bächtle und Messer, die beruflich an der Enz zu tun hatten und das Fußballspiel aus der Käthchenstadt importierten.

Der Fußball gedieh, der Verein schloß sich nicht dem DFB, sondern dem Arbeiter-Turnbund an, und erst mit Beginn des Ersten Weltkriegs bekam die Entwicklung des Fußballsports einen Rückschlag. 1919 fusionierten die Viktoren mit der Sportvereinigung Bissingen, die sich ab 1924 im Arbeiter- Turn- und Sportbund organisierten. Mit dem Verbot des ATSB durch die Nationalsozialisten 1933 kam auch das Ende für den selbständigen Fußballverein, die sich als Fußballabteilung 1934 dem Turnverein Bissingen anschloß. 1935/36 konnte sogar der Aufstieg in A-Klasse gefeiert werden.

Nach 1945 kam es zur Neugründung als Sportvereinigung Bissingen, die 1946 und 1948 in die damals drittklassige Bezirksklasse aufstiegen. Am 5. Januar 1950 begann dann die Geschichte des FSV 08 Bissingen, nachdem sich die Fußballer von der Sportvereinigung lösten und einen eigenständigen Verein gründeten.

Es folgten erfolgreiche Jahre in der 2. Amateurliga, in die der FSV 1952 aufstieg und 17 Jahre ununterbrochen angehörte. Dabei überholte man auch erstmals Lokalrivale Germania Bietigheim, der noch in der A-Klasse dahindarbte. Die Bissinger hielten sich tapfer in der Spielklasse, wurden 1955 in die Staffel 1 versetzt, kehrten 1959 aber wieder in die angestammte Staffel 2 zurück. Eine große Rolle spielte man zwar nie in der 2. Amateurliga, der 3. Platz 1966 war die beste Platzierung des FSV, aber man war eine feste Größe und schon damals eine gefürchtete Heimmanschaft. 1969 erfolgte der Abstieg aus der Vierten Liga, und es wurde etwas ruhiger um den FSV. Bis in die Kreisliga hinunter geht die Geschichte des Vereins, der dann ab 2000, mit dem Aufstieg in die Bezirksliga, beginnt, im Fußballländle seinen Höhenflug anzutreten.

Vereinslokal des FSV (Hintergrund),
Müllcontainer des FSV (Vordergrund).
2004, die Mannschaft gewann souverän den Titel der Bezirksliga und stieg in die Landesliga auf, da ließ sie noch als Bezirksligist von sich Reden. Im WFV-Pokal stürmten die Bissinger bis ins Finale. Nach einem Freilos in Runde 1 wurde zunächst mal der ambionierte Landesligist TSV Schwieberdingen mit 2:0 nach Hause geschickt. In der 3. Runde mußte Oberligist TSV Crailsheim mit 3:1 die Segel streichen, und im Achtelfinale konnte in der Verlängerung Landesligist TSV Münchingen geschlagen werden. Auch Verbandsligist SV Böblingen und Oberligist SGV Freiberg waren keine Stolpersteine, und so standen die kecken Bezirksliga-Kicker plötzlich ím Finale und nur noch ein Spiel von einer Teilnahme am DFB-Pokal entfernt.
Vor 1.000 Zuschauer in Fellbach blieben die Jungs um Spielertrainer Alfonso Garcia am 19. Mai 2004 gegen den Regionalligisten VfR Aalen allerdings chancenlos. Ganze 8 Gegentreffer kassierte Torhüter Burkhardt, und der Traum vom Pokal war ausgeträumt. Dennoch: spätestens jetzt war der FSV in aller Munde, und der Höhenflug keineswegs beendet.

2006 erfolgte der Aufstieg in die Verbandsliga, 2012 ging es gar in die Oberliga, aus der der FSV 2013 wieder abstieg. Doch die Chancen stehen an der Enz nicht schlecht, in naher Zukunft wieder im baden-württembergischen Oberhaus zu spielen.

Nach einer wahren Baustellen-Odyssee durch Ludwigsburg erreichen wir den Bruchwald, die Heimstätte des FSV 08, gegen 14:30 Uhr. Zeit genug, um noch in Ruhe ein Stadionbier zu verdrücken und dem kleinen mitgereisten Normannia-Anhang einen guten Tag zu Wünschen.  Neben den "üblichen Verdächtigen" wie Bredi und den Mannen des 12. Manns ist auch Normannia-Präsident Dieter Weil mit von der Partie, um die Schewrzer-Elf vor Ort zu unterstützen. Für ein Gesprächsthema ist auch schnell gesorgt, findet das heutige Spiel doch auf einem Kunstrasen statt. Dabei wären wir in Gmünd froh, wenn unser Rasen in solch' schlechtem Zustand wäre.
Hier heute nicht. Der Rasenplatz.
Die Harten spielen auf dem Hartplatz.









Helden der Kreisklasse.

Vielleicht liegt es ja an den kalten Temperaturen und den harschen Wind, aber alles wirkt kalt und grau und so gar nicht würdig für einen Oberligaaspiranten.
Selbst der Kaffee kommt in einemMogelgewand daher. In einem für die Verbandsliga regelrecht edlen Becher - Respekt! - tummelt sich eine undurchsichtige Flüssigkeit, die gerade so noch als Heißgetränk durchgeht, aber leider nur wenig an eine aufgebrühte Strauchfrucht aus dem Hochland Äthiopiens erinnert.
Erschwerend kommt hinzu, dass der Verpflegungsstand am anderen Ende der Sportanlage installiert ist, und auch die Toiletten nur im Vereinsheim vorhanden sind. Alles in allem erweckt sich mir der Eindruck, man habe die Fußballer in die hinterste Ecke strafversetzt worden wären, gemäß dem Motto: "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern!"

Versprühen gute Laune und Zuversicht: Wolfgang Thamm (l.)
vom 12. Mann und FCN-Präsident Dieter Weil (r.)
Auch Bredi blickt schon
kritisch ins Spiel.
Zunehmend kommen auch die Zuschauer ins Stadion, am Ende werden 220 gezählt. Nicht viel für eine Mannschaft, die heute darauf aus ist, Platz 1 der Verbandsliga zu erobern. Einige Bissinger sind auch in blau-weißen Jacken erschienen, auch der eine oder andere Schal ist dabei. Bemerken wird man die Heimfans im Spiel jedoch nicht. Direkt unter uns steht eine kleine Rentergruppe, die quasi vom ganzen Spiel nichts mitbekommt, da sie sich über gewichtigere Themen unterhält.

Gleich nach Anpfiff zeigen die Bissinger, warum sie um den Aufstieg mitspielen. Schnelles, ballsicheres Auftreten, torhungriges, gefälliges Spiel, Zweikampfstark - als neutraler Zuschauer würde ich gleich gefallen am Bissinger Team finden. Als Normannia-Anhänger steht man hingegen gleich mit einem mulmigen Gefühl am erhöhten Stehplatz.

Im Tor der beiden Mannschaften stehen sich heute Burkhardt und Burkhardt gegenüber - Sven Burkhardt im Dress des FSV, Magnus Burkhardt bei Normannia.

Wie gesagt, um das Spiel herum ist es recht ruhig, und man kann die Vöglein aus dem nahen Bruchwald bei ihrem Balzgesang belauschen. Für Vogelkundler wäre dieses Spiel ein wahres Paradies Für Gaetano Molinari ist diese Ruhe zu unerträglich, er stimmt den "FCN"-Kampfruf an, und wir fallen gehorsam ein.
Was nun folgt, kann man am besten mit "Provinzposse" umschreiben: die Bissinger Zuschauer drehen sich zu uns her und starren uns mit weit aufgerissenen Augen an, Gelächter folgt, hämische Bemerkungen, nachgeäffte FCN-Laute. Die Bissinger reagieren mit Unverständnis, so als ob ich beispielsweise im Ballett während der besonders dramatischen Sterbeszene in "Schwanensee" plötzlich lauthals "laaaaaangweilig" in die Stille rufen würde. "Was schreiet ihr denn do? FCN, was heischt des denn?" Nun, ich habe mir angewöhnt, sarkastische Bemerkungen grundsätzlich nicht zu erwidern. Als beim nächsten mal wieder etwas vom silberhaarigen Herrn zu meiner linken zu mir her tönt, lasse ich meine Grundätze doch unauffällig im Kleinhirn verschwinden. "Wenn des euch zu laut isch, na müsset ihr halt in der Kreisliga spiela. Da geht es ruhiger zu" erwidere ich freundlich, aber spitz. "Oh noi, da hört ma no schlimmere Sache" antwortet der Old Boy of Bissingen. Auf der anderen Seite hätte ich gedacht, dass man in Bissingen während der Oberliga-Zugehörigkeit weitaus höhere Kaliber in punkto Gästefans erlebt hätte, als die paar Hansel aus dem Remstal...

Nur ein Lattentreffer.
Zum Spielverlauf in der 1. Halbzeit läßt sich sagen, dass Bissingen in meinen Augen die ersten 45 Minuten deutlich beherrscht, Normannia brauchte etwas, um ins Spiel zu finden und dem schnellen Auftreten der Hausherren wirksam zu unterbinden. Aufatmen meinerseits, nachdem FSV-Stürmer Mario Klotz zwei dicke Chancen nicht im FCN-Gehäuse versenken kann. Im Gegenzug müssen die Gastgeber feststellen, dass Normannia ihre Standards geübt haben. Als Guiseppe Catizone nach einem Freistoß den Ball an die Latte knallt, sind es zur Abwechslung mal die Bissinger, die tief durchatmen dürfen.

"Oh, ein Fußballspiel!"
Kurz vor Seitenwechsel wird es noch einmal besonders unruhig. Schiedsrichter Johannes Steck schickt Mustapha El M'Hassani - von den Fans liebevoll Musti genannt - mit Gelb/Rot aus dem Spiel. Nicht alle Bissinger Zuschauer bekommen das mit. Meine kleine Rentnergruppe, die "Nierenstein-Ultras", schnattern ungeniert weiter, ich glaube, von der ganzen 1. Halbzeit haben die vielleicht 5 Minuten das Spielgeschehen verfolgt. Auch hier merke ich - der Stadionbesuch erfüllt eine soziale Funktion, ein Treffpunkt, wie der Friseur oder der Wochenmarktbesuch. Das Spiel ist unwichtig.

Damit könnte ich leben.
Zur Halbzeit also 0:0, aus Sicht der Normannia sicherlich zufriedenstellend. In der letzten Viertelstunde des ersten Spielabschnitts wurde die Schwerzer-Elf forscher, und man blickt etwas zuversichtlicher in die restliche Partie, zumal die 08er nur noch mit 10 Mann zu bestehen haben. Vielleicht werden die Bissinger ja jetzt so schwach ihr Stadion-Kaffee?

Weit gefehlt. Im Gegensatz zu den Hochlandbohnen sind verbliebenen 10 Bissinger ordentlich abgebrüht, und sie denken gar nicht daran, sich Zuhause kampflos in die Bredouille bringen zu lassen. Aber auch die Normannen kämpfen, und es verspricht, eine offene Partie zu werden.

Nach ungefähr 10 Minuten in der 2. Halbzeit fällt es dem Dreiergespann unter mir auf, dass ihnen ein Spieler abhanden gekommen ist. Eienr wendet sich an meinen Nebenmann. "Sog mal, hat der Schiri uns oin rausgeschtellt? Do standät doch bloß no 9 Feldschpieler?" - "Hättet ihr halt aufgepaßt und net die ganze Zeit über andere Dinge gschwätzt" schnattere ich dazwischen. "Is' doch wahr" sage ich entschuldigend zu meinem Nebenmann.

1:0 für Bissingen.
Das Überzahlspiel scheint der Normannia nicht zu liegen, und in der 56. Minute ist es Hasan Morina, der sich nicht zweimal bitten läßt und seine Chance knallhart ins Tor von Magnus Burkhardt versenkt. Jubel beim Bissinger Anhang, "jetzt erst recht" beim kleinen FCN-Anhang. Lautstark und trotzig schmettern wir unsere Anfeuerung aufs Feld (Reaktionen des Bissinger Publikums siehe oben).



Keine 10 Minuten später hat Beniamino Molinari auf der Gegenseite eine faustdicke Chance, scheitert aber an Torhüter Sven Burkhardt. Überhaupt fehlt heute ein Vollstrecker auf Normanniaseite, denn die Chancen sind da, beide Mannschaften sind durchaus gleichwertig, auch wenn die Hausherren durch den Platzverweis natürlich gehandicapt sind.
Folgenlose Dramatik vor dem FSV-Tor.
Den Ball im Griff: Tim Reich.










Verdienter Jubel nach dem 2:0.
Der Kampf wankt zwischen 1:1 und 2:0. Normannia drängt nach Vorne, lediglich der Erfolg bleibt versagt. In der Nachspielzeit schließlich passiert es. Holger Ludwig versenkt mit einem sehenswerten Schuß den Ball im FCN-Gehäuse, 2:0 für den FSV, womit auch der Endstand ermittelt ist. Die Bissinger Spieler erkämpfen sich in Unterzahl die Tabellenführung in der Verbandsliga, und trotz schwarz-roter Vereinsbrille muß gestehen, vollkommen verdient. Wer seine Chancen konsequent nutzt, darf sich auch den Siegerlorbeer überstülpen.

Für mich besonders tragisch ist der Umstand, dass man den Normannen keinen Vorwurf machen kann. Sie haben alle großartig gekämpft, ein Unentschieden wäre mehr als Verdient gewesen. Umso tiefer sitzt jetzt der Frust , der sich bei uns Fans auf der Rückfahrt durch teilweise betretenes Schweigen bemerkbar machte.

Bredi fand am Sonntag die passende Umschreibung für das Geschehen: "Über die gestrige Leistung als solche kann man in der Tat nicht schimpfen. Doch man hat sich einfach nicht selber dafür belohnt. Solche Niederlagen frustieren mich mehr als Niederlagen in Spielen, bei denen der Gegner klar besser ist. Hätten wir das Hinspiel verloren, wäre ich bei weitem nicht so gefrustet gewesen."

Mein Fazit: Bissingen absolut Oberligareif, weniger vom Umfeld und vom Kaffee (da ist man auf Bezirksliga-Niveau stehen geblieben), aber durch die klasse Leistung der Mannschaft. Mit dem Spielwitz müssen sich die 08er in der Oberliga nicht verstecken. Auf Normannia wartet hingegen noch mehr als nur ein heißer Tanz auf dem Vulkan. Weitere Punktgeschenke darf man sich nicht mehr leisten. Ich glaube an die Jungs, werde sie weiterhin kräftig unterstützen. Mehr liegt nicht meiner Macht. Höschtens in einer Hinsicht: "Never change a winning scarf!" - Brachte der Fanschal des TV Derendingen beim letzen Heimspiel einen großartigen 3:2-Sieg, so entpuppte sich der Schal des SC Göttingen 05 als "Master of Desaster".

Der TVD-Schal sprach soeben zu mir, "wenn du mich am Samstag gegen Neckarsulm ins Stadion mitnimmst, gewinnen wir 2:0". Nun denn, man sollte immer auf einen Schal hören....
And we were singing,
hymns and arias,
team of my fathers,
NORMANNIA GMÜND!
Spielberichte:
Normannia: Unaufmerksamkeit kostet Punkte
Bietigheimer Zeitung: Nullacht übernimmt Platz eins

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