Mittwoch, 21. Mai 2014

Über den Tellerrand - Karlsruher FV gegen Frankonia Karlsruhe

Jubel beim Deutschen Meister von 1910. 
Dinge, die ich bereue? Eine Spitzenposition hat der Umstand, dass ich es in meinem Leben versäumt habe, ein Heimspiel des Karlsruher FV im Stadion an der Telegraphenkaserne zu verfolgen. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, das die Schwarz-Roten ihre Heimspiele dort austrugen, und ich erinnere mich noch an die Spielzeit 1994/95, wo ich zumindest Ergebnisse und Torschützen der Landesliga Baden - dort spielte der KFV damals - aus dem Sport-Kurier erfahren konnte. Im Zeitalter des Internets mag das seltsam klingen, aber damals war die Zeitschrift in dieser Hinsicht geradezu bombastisch.

Aber das ist alles Vergangenheit, selbst das Stadion an der Telegraphenkaserne wich modernen Gebäuden, und der KFV war sogar mal ganz weg von der Bildfläche.

Muß ich den Karlsruher FV eigentlich vorstellen? Ich hoffe doch nicht!
Gegründet 1891, war der KFV vor dem Ersten Weltkrieg im deutschen Fußball ungefähr das, was heute der FC Bayern München ist - einfach eine Macht. Bekannt wurde die "Telegrammaffäre", die dafür sorgte, dass der KFV das Vorschlußrundenspiel in der 1903 erstmals ausgetragenen deutschen Meisterschaft gegen den DFC Prag nicht antrat. Die Prage kamen somit kampflos ins Endspiel nach Altona, und wurden dort vom VfB Leipzig zerlegt. Mit dem Meistertitel klappte es erst 1910. Große Namen spielten beim KFV. Nationalspieler Julius Hirsch, der später von den Nazis ermordet wurde; Walther Bensemann, Mitbegründer des DFB; oder Bekir Refet, der erste türkische Fußballer in Deutschland, der von 1926 bis 1935 die Schuhe für den KFV schnürte und auch in die Auswahlmannschaften Süddeutschlands und Badens berufen wurde sowie das erste Länderspieltor der Türkei in einem wichtigen Turnier erzielte.



Der KFV gehörte immer dazu, auch wenn die Erfolge spärlicher wurden. Nach dem Krieg spielte man noch in der Oberliga Süd, dann verschwand man weitestgehend aus dem Blickfeld. Mittlerweile nahm die Fusion zwischen dem VfB Mühlburg und Phönix Karlsruhe die Aufmerksamkeit auf sich, denn der neugegründete Karlsruher SC fuhr die lange vermissten Erfolge ein.

Auf einen Besuch beim Altmeister von 1910 freute ich mich schon sehr lange, auch wenn die Heimspiele längst nicht mehr an der Telegraphenkaserne, sondern am Sportplatz der DJK Karlsruhe-Ost stattfinden. Für den Besuch wählte ich das Ligaduell mit ESG Frankonia Karlsruhe aus. Die Eisenbahner-Sportgemeinschaft Frankonia entstand in seiner heutigen Form zwar erst 1959 durch Fusion, aber sie vereint neben der 1927 gegründeten Reichsbahn-Sportgemeinschaft Karlsruhe den bereits 1895 ins Leben gerufene Karlsruher Fußballclub Frankonia, nach dem KFV und dem Karlsruher SC (durch seinen Vorgängerverein Phönix) drittältester noch bestehender Fußballverein in Karlsruhe. Die Duelle zwischen KFV und Frankonia fanden im Fußball der Altvorderen stets in den oberen Spielklassen vor vollem Hause statt. Mittlerweile ist es nur noch ein Geplänkel im unteren Mittelfeld der Kreisklasse C. Die Zeiten ändern sich halt, aber die Faszination bei mir bleibt. Und so freute ich mich schon sehr darauf, den schwäbischen Spätzlestellerrand einmal zu verlassen und in die badische Fußballhochburg aufzubrechen.

Nach einem regelrechten Anreise- und Umsteigemarathon - immer mit dem Kribbeln im Nacken, einen Anschlußzug zu verpassen - treffe ich dann auch in der ehemaligen großherzoglichen Residenzstadt ein. Auf dem Weg bummelt meine S-Bahn sogar an einer Kleingartenanlage vorbei, die auf den Sportplatz der Frankonia verweist. Karlsruhe ist schone eine geile Stadt, dass muß ich als Spätzlesschwoab neidlos anerkennen!

Im Schatten des Wildpark-Stadions.
Auf meinen halbstündigen Fußmarsch von der Haltestelle Durlacher Tor zum DJK-Platz passiere ich das Wildparkstadion, auch ein Erbe ruhmvollerer Fußballvergangenheit. Aber auch der Nebenplatz ist mir ein Foto wert, schließlich trat die Normannia dort schon im Ligaduell gegen die Amateure des Karlsruher SC in der Oberliga Baden-Württemberg an.



Ein Hauch von Engländerplatz.
Der Platz bzw. das Vereinsheim der DJK-Ost ist gut in diesem weitläufigen Waldgebiet zu finden. Ich muß zugeben, das ich mir vorher nie Gedanken über den Namen "Wildpark" gemacht habe. Jetzt ergibt er aber Sinn. Vor einigen Jahren, so erfuhr ich, muß der Platz der DJK sogar mal von einer Rotte Wildschweine ordentlich umgegraben worden sein. Vielleicht resultiert daher die komplette Umzäunung des Platzes? Als Kleinod kann man ihn nicht unbedingt bezeichnen, aber gemütlich. Von der Bierterasse des Vereinsheims sind die Besucher gerade beim essen, und schauen so beiläufig dem Spiel der beiden Reserven zu, die ebenfalls in der C-Klasse am Ligabetrieb teilnehmen, allerdings in einer anderen Staffel.

Aus der Distanz, irgendwo im Hardtwald versteckt, dringt Stadionmusik herüber. Dort ist der Platz der SpVgg Olympia-Hertha (cooler Name), und die Hausherren empfangen FV Grünwinkel. Olympia-Hertha (der Verein kommt ohne Stadtnamen aus) spielt eine Klasse höher als der KFV, und trifft in der Kreisklasse B u. a. auf Alemannia Eggenstein, die auch mal in der obersten Amateurliga beheimatet waren und auf sehr kuriose Weise DFB-Pokalgeschichte schrieben.

Zuschauer in der 11. Liga.
"Hallo Hansjürgen, schön Dich mal persönlich zu treffen", werde ich begrüßt. Christian ist einer der angenehmen Gründe, warum soziale Medien ihre guten Seiten haben. Mit Fußball hat er im Prinzip nichts am Hut, eher mit Rad- und Laufsport. Aber um sich mal ausserhalb der Anonymität des Internets zu unterhalten, hat er heute mal eine Ausnahme gemacht, und schaut auf eine Stippvisite vorbei. Auch wenn sein Besuch beim Deutschen Meister von 1910 nur kurz währt, so erhalte ich doch einige Informationen vom ihm über das Geschehen in Karlsruhe.

Ein großes Manko für den KFV ist sicherlich die fehlende Heimat. Kein eigener Platz, kein Vereinsheim, keine Einnahmen durch Bandenwerbung, noch nicht einmal ein älterer Herr, der zur Halbzeit das Eintrittsgeld einkassiert oder ein paar Euro Verdienst durch den Verkauf von Bier und Bratwurst. Der logistische Aufwand stünde wohl in keinem Verhältnis zum Zuschauerzuspruch, zumal lukullische Bedürfnisse ja im Vereinsheim der DJK befriedigt werden können. Respekt hingegen verdient der Internetauftritt des Elftligisten, und auch der Fanshop ist nicht von schlechten Eltern. Da bieten oftmals höherklassige Vereine Kreisklassen-Niveau, während der KFV da locker in den ersten zwei Ligen antreten könnte. Alleine die historischen Abbildungen: ein Traum!

KFV 2 - Frankonia 2
Der Platz in der Fremde wirkt sich auch störend auf den Spielverlauf aus. Wildschweinrotten bleiben zwar ausgesperrt, hohe Bälle fliegen jedoch mit Vorliebe über den Zaun und landen im Unterholz, tief im Wald oder gar auf dem benachbarten Tennisplatz, was in schöner Regelmäßigkeit zu Spielverzögerungen führt. Doch Spieler und Schiedsrichter ertragen diesen Umstand mit gewohnter Gleichmut. Die Erfahrung mit diesem Platz macht sich wohl bezahlt.
Schmunzeln muß ich hingegen bei den Trikots der Frankonia II: "Sport-Dino" steht dort nämlich als Werbung, und so alt wirken die Spieler i. d. R. gar nicht.

Das Spiel der Reserven endet mit einem gerechten 1:1. Nachdem Onur Dursun nach einer Stunde den Gastgeber in Führung schoß, glich bereits nach 5 Minuten Thorsten Ell für Frankonia aus. Nicht beklagen darf sich KFV-Kapitän Bedri Igne: seine nicht ernst gemeinte Frage, ob ich ihn auch gut fotografiert habe, kann ich reinen Gewissens bestätigen.

Das Spiel der beiden ersten Mannschaften wird zunächst mal nicht angepfiffen. Schiedsrichter Norbert Geggus vom FVgg Weingarten läßt beide Teams nach dem Auflaufen zu einer Gedenkminute antreten. Einige KFV-Spieler laufen auch mit Trauerflor auf. Später erfahre ich, dass den Opfern des schrecklichen Bergwerksunglück im türkischen Soma damit gedacht wird.

Gedenkminute vor dem Anpfiff.
Frankonia spielt in Rot-Weiß, der KFV in weißen Trikots und schwarzen Hosen, was bei einigen Kindern am Spielfeldrand sofort das WM-Fieber ansteigen läßt. "Wir sind für Deutschland!" sind sie sich alle einig, auch wenn sie immer wieder von den Spielern der Frankonia II geduldig darüber aufgeklärt werden, dass da eben nicht Jögi Löws Mannen spielen.

Es herrschen Freibadtemperaturen, und man möchte baden in Baden. Die wenigen Zuschauer müssen sich zumindest nicht um die schattigen Plätze streiten. Auch auf das Spiel wirken sich die sommerlichen Temperaturen aus. Packende Zweikämpfe sind selten, und ein einziger nennenswerter Vorfall in der 1. Halbzeit geschieht, als ein volles Glas Hefeweizen vom Ball getroffen und somit niemals mehr getrunken werden wird.

Aus der Nachbarschaft dringt plötzlich lauter Musik herüber. "Olympia hat 'n Tor geschossen" sagt eine Frau beiläufig, ehe sie mit ihrer Unterhaltung fortfährt. Auch das ist der KFV, 104 Jahre nach dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft.

Spielszene 1. Halbzeit.
Wieder geht ein Ball auf die Reise über den Zaun.










Zum Pausenpfiff steht es 0:0, und ich wechsle die Perspektive. Von der anderen Seite des DJK-Platzes setze ich mich der Sonne aus. Hinter dem Zaun passieren Radfahrer, Jogger, Spaziergänger. Einige halten inne und schauen dem Spiel zu, ehe sie doch wieder weiterziehen.

Jens-Fabian Busch und Niklas Reith.
"Das war doch bislang ein Kick zum abgewöhnen", meint KFV-Trainer Thorsten Bailleu, als er zum Seitenwechsel  bei mir vorbeikommt. "C-Klasse im Fußball ist halt nicht C-Klasse bei Daimler" flachse ich zurück.

Die 2. Halbzeit wird munterer als der 1. Durchgang. Der KFV drängt auf das Frankonia-Tor, und in der 47. Minute ist es dann soweit.
Co-Trainer Kevin Konkoll schüttelt seinen Verfolger Jakub Nowicki, den Mann mit der auffälligen Frisur, ab und versenkt den Ball im rechten unteren Eck. Frankonia-Torhüter Uwe Hirsch streckt sich zwar, erreicht den Ball aber nicht. 1:0 für den Altmeister, und ich freue mich über diesen Treffer riesig. Werde ich womöglich über einen KFV-Sieg berichten können?
...Kevin Konkoll feiert den Führungstreffer
Jede Gegenwehr ist zu spät...










Treffer, versenkt, 1:1 durch Kadzimierz.
Adrian Kadzimierz von der ESG Frankonia hat was dagegen, und erzielt in der 59. Minute den Ausgleich für die Gäste. Fairerweise muß ich anerkennen, dass das 1:1 leistungsgerecht ist. Dennoch halte ich es ja bei meinen Besuchen immer mit den Gastgebern, und immerhin war ich knapp drei Stunden unterwegs, um den KFV zu erleben.




Der KFV versucht die erneute Führung, ein Sieg ist greif- und machbar. "Los, vor. Immer flache Schüsse. Der Torwart von denen bückt sich nicht. Der hats mit dem Rücken oder so" ruft man von der KFV-Hintermannschaft den Vorderleuten vor. An Chancen mangelt es nicht, nur der Erfolg bleibt aus.

Da drüben muß der Ball rein!
Aber es kommt noch schlimmer. Nein, nicht durch Bedri Igne, dem Kapitän der zweiten Mannschaft, der auf dem Foto hier als Betreuer fungiert. Der ist hier nur dokumentiert, um zu zeigen, das er wirklich gut getroffen wurde. Man könnte höchstens über den Inhalt des Koffers philosophieren. Laut Aussage eines Zuschauers würde da nur ein Schwamm und etwas Wasser drin, der Koffer somit nur ein Showobjekt sein.
Wie auch immer, das schlimme Ereignis tritt in der 88. Minute ein. Omar Martinez Vela lupft den Ball ziemlich ungefährlich über KFV-Keeper David Kidwell, der hüpft genauso ungefährlich in Richtung Ball... und irgendwie landet das aus meiner Perspektive eigentliche harmlose runde Ding plötzlich im KFV-Netz. Soeben überlegte ich noch einen Text á la "leistungsgerechtes Unentschieden im Tradtionsderby", und schon muß ich alles wieder umbauen.

Kurz danach erfolgt der Abpfiff, der Karlsruehr FV unterliegt Frankonia Karlsruhe mit 1:2. Die Mannschaft, die mangels eigenen Platz irgendwie immer auswärts spielt, verharrt mit 17 Punkten auf Platz 9 von 12.

Ich selber nehme für den Rückweg den längeren Weg durch den Schloßgarten zum Hauptbahnhof in Kauf. Die Rückfahrt verläuft schneller, aber immer noch mit ca. 2 Stunden recht lang. Um 20:30 Uhr bin ich schließlich wieder in Schwäbisch Gmünd.

Hat es sich gelohnt, den in die Niederungen der C-Klasse abgestürzten Verein zu besuchen? Ja! Jeder Fußballfreund sollte einmal im Leben zum KFV fahren, um den Fußballpionier und Altmeister seinen Dank abzustatten. In Karlsruhe freut man sich jedenfalls über jeden Zuschauer.


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