Freitag, 2. Mai 2014

Zurückgeblättert - Als Normannia im Fußballolymp spielte

Teil 1: Der Fußball in Württemberg 1932/33

"Fußballolymp" klingt zugegebenermaßen etwas theatralisch, soll aber ein wenig die Bedeutung für die Augenzeugen herausstellen, die jene Tage erlebten und deren Augen schon längst für immer geschlossen, der Meisterlorbeer vergilbt und die Erfolge vergessen sind.
Es geht um die Spielzeit 1932/33, einem Jahr, in dem Normannia Gmünd in der 1. Liga gegen namhafte Gegner wie den VfB Stuttgart oder die Stuttgarter Kickers um Meisterehren kämpfte.
Ich möchte ab heute eine kleine unregelmäßige Serie über dieses Jahr der Erstklassigkeit der Normannia starten, streife dabei auch ein wenig die DJK Gmünd, die in jener Epoche auch eine eigene Hausnummer war, und werde Spieltag für Spieltag - so gut es eben die Unterlagen hergeben - das Ligageschehen begleiten.

Zunächst einmal scheint es allerdings angebracht, etwas über das Ligasystem der damaligen Zeit zu erläutern, einfach, um das ganze Geschehen besser einordnen zu können. Denn dieses erste Spielklasse, die Bezirksliga Württemberg, war nur eine von vielen ersten Spielklassen innerhalb des Deutschen Reichs. Alleine im Süddeutschen Verband gab es 8 erste Spielklassen. Die Leistungsdichte war somit alles andere als hoch. In der Spielzeit 1932/33 kämpften theoretisch 625 Mannschaften um den deutschen Meistertitel (sofern ich richtig gezählt habe), die zuvor in 69 "erste Ligen" unterschiedlicher Ausprägung gegeneinander antraten.
Auch die Zusammensetzung der einzelnen Ligen variierte stark. Zwischen 5 bis 13 Mannschaften traten in einer Liga an. War die Liga abgeschlossen, was meistens innerhalb eines Halbjahres geschah, ging es für die Meister erst einmal um die regionale Meisterschaft, um sich schließlich mit etwas Glück für die Teilnahme an der Deutschen Meisterschaft zu qualifizieren, die dann ziemlich rüde in einer K.o.-Runde durchgeboxt wurde.

Die Regionalverbände im Deutschen Fußballbund spielten zunächst ihre eigenen Meister aus und waren für ihre Ligenzusammenstellung selber verantwortlich. Es gab den Westdeutschen Spiel-Verband (WSV), Norddeutschen Fußball-Verband (NFV), den Verband Brandenburgischer Ballspielvereine (VBB), in dessen Meisterschaften auch ab 1930/31 die Mannschaften aus Pommern teilnahmen, den Verband Mitteldeutscher Ballspielvereine (VMBV), den Südostdeutschen Fußball-Verband (SOFV), der für Schlesien zuständig war, und den Baltischen Sport-Verband (BSV), dessen Verbandsgebiet sich über Ostpreußen und der Freien Stadt Danzig erstreckte. Dies zur groben Orientierung.

Hier soll es sich natürlich nur um den Süddeutschen Fußball- und Leichtathletik-Verband (SFLV) handeln. Das süddeutsche Verbandsgebiet umfasste 1932 die heutigen Bundesländer Saarland, Baden-Württemberg und Bayern sowie das südliche Hessen und die Pfalz. Hinzu kamen die Vereine aus dem österreichischem Vorarlberg. 1927 teilte der SFV sein Gebiet in 4 Bezirke ein, in denen es jeweils 2 Staffeln einer ersten Liga - für gewöhnlich 10 Mannschaften - gab: Bezirk Bayern (Bezirksligen Nordbayern und Südbayern), Bezirk Rhein/Saar (Bezirksligen Rhein und Saar), Bezirk Main/Hessen (Bezirksligen Main und Hessen) sowie dann "unser" Bezirk Württemberg/Baden (Bezirksligen Württemberg und Baden).

Kastentabelle der Kreisliga Vorarlberg-Bodensee.
Das württembergische Gebiet war dabei nicht mit dem Volksstaat Württemberg identisch. Mannschaften aus Ulm, Heidenheim oder Friedrichshafen waren dem Bezirk Bayern zugeordnet und kämpften um Punkte für den Aufstieg in die Liga Südbayern. Der VfB Friedrichshafen gar traf zusammen mit dem FC Wangen 05, FV Ravensburg und dem SV Weingarten in der Kreisliga Vorarlberg-Bodensee auf Teams aus Bayern (Kempten, Memmingen, Lindau) und Österreich (Bregenz, Dornbirn, Lustenau). Dieser kleine historische Fußballgrenzverkehr ist heute leider weitestgehend vergessen.
Schwenningen, Tuttlingen oder Rottweil spielten in badischen Spielklassen, im Gegenzug traten badische "Gastarbeiter" wie Pforzheim, Brötzingen, Eutingen oder Birkenfeld gegen württembergische Vereine an. 

Um den Aufstieg in die Bezirksliga Württemberg wurde in 6 Kreisligen als zweite Spielklasse gekämpft. Diese waren ursprünglich aufgeteilt in die Kreisliga Alt-Württemberg, Cannstatt (der auch zunächst Normannia angehörte), Zollern und Enz-Neckar. Ab 1931/32 kamen dann die beiden Kreise Hohenlohe und Hohenstaufen hinzu, wobei die Normannen in den Hohenstaufenkreis wechselten. Die Meister der 6 Kreisligen ermittelten dann in einer Doppelrunde die beiden Aufsteiger in die Bezirksliga. Unterhalb der Kreisligen schließlich befanden sich A-Klasse, B-Klasse und C-Klasse, vergleichbar mit unseren heutigen Kreisligen. Reservemannschaften traten in eigenen Reserverunden gegeneinander an.

Wie sah nun so eine Spielzeit aus? Zunächst einmal herrschte vom 1. bis einschließlich 31. Juli eine vom SFV verhängte Spielsperre. Die Vereine konnten sich also lediglich auf Trainingseinheiten stützen, Vorbereitungsspiele vor Saisonbeginn waren so gut wie unmöglich. Anfang August wurde bereits in der Liga um Punkte gekämpft, und die Ligaausscheidung war Ende Dezember für gewöhnlich abgeschlossen. Der Meister und der Tabellenzweite nahm dann an der Süddeutschen Meisterschaft teil, in einer Achterliga mit den Vertretern Badens, Main und Hessen. Die ausgeschiedenen Mannschaften konnten sich noch über den Umweg des Süddeutschen Pokals und eines Entscheidungsspieles für die Endrunde der Deutschen Meisterschaft qualifizieren. Insgesamt nahmen 3 Mannschaften aus Süddeutschland (Meister, Vizemeister und ein Qualifikant) in der Meisterschaftsrunde auf Reichsebene teil.

Die beiden Absteiger der Bezirksliga sowie die aus der Meisterschaft ausgeschiedenen Vereine hatten quasi das erste Halbjahr des Folgejahres spielfrei. Man hielt sich für gewöhnlich mit Freundschaftsspielen fit und finanziell flüssig, zumal die Teilnahme am Pokal freiwillig geschah. 

Alleine durch die unterschiedliche Spielpraxis entstand also schon eine Kluft zwischen den Vereinen. Natürlich gab es damals schon die Trennung zwischen "Reich" und "Arm", zwischen Clubs mit betuchten Förderern und Vereinen, die sich dem Amateurideal bis zur Selbstaufgabe verpflichteten. Auch in den Vereinsstrukturen gab es deutliche Unterschiede: verpflichteten die einen Vereine echte Trainer, bestimmte bei Vereinen wie Normannia Gmünd ein Spielausschuß die Zusammensetzung der Spielelf.
Auch in einer gänzlich anderen Hinsicht gab es Mißgunst innerhalb der württembergischen Liga. Von den Provinzvereinen wurde eine Bevorzugung der Stuttgarter Vereine gesehen; angefangen von dubiosen Schiedsrichterentscheidungen zugunsten von Kickers, VfB, Sportclub und Co. bis hin zur Zweiklassengesellschaft, wenn es um die Verhängung von Strafen oder Entscheidungen am grünen Tisch ging. Würden die Vereine aus der schwäbischen Provinz die ganze Härte des Regelwerks zu spüren kriegen, so würden Sportgerichte bei Stuttgarter Vereinen regelrecht beide Augen zudrücken.

Mancherlei am Fußball der Altvorderen mag uns heute seltsam erscheinen und ungewohnt vorkommen. Auswechslungen gab es nicht, wer verletzt wurde, schied halt aus. Spielabbrüche waren relativ unbekannt, drohte im Winter der Platz unbespielbar zu werden, so wurde schlicht Stroh ausgestreut. Die Sitten waren damals rauh im Fußball, innerhalb wie außerhalb des Spielfeldes. Schlägereien kamen praktisch an jedem Spieltag vor, pöbelnde Zuschauer, Gewalt gegen Schiedsrichter, Spielentscheidungen am grünen Tisch angefochten. Ungewohnt mag erscheinen, dass man seinerzeit versucht war, die Zuschauer zu "zivilisieren", dieses "unsägliche hineinrufen ins Spielfeld" zu unterbinden. Auch den Torjubel der Spieler muß man sich ganz anders vorstellen als heute. In Deutschland scheint das ganz bieder zugegangen sein, wenn ein Spieler einen Treffer erzielte. Ich erinnere mich gut an einem in Radioarchiv hinterlegten Mitschnitt zu einem Länderspiel zwischen Deutschland und Italien 1928, in dem die beiden deutschen Reporter förmlich ins Mikrofon lachen, weil die Italiener nach dem Torerfolg die Arme in die Luft rissen und sich gar umarmten...
Überhaupt bezeichnete man die damals im weißen Dress des DFB antretende Spieler nicht als "Nationalspieler", sondern als internationale Auswahlspieler oder schlicht Internationale. 


Trotz zahlreicher Auswüchse, Fußball war ein sehr populärer Sport, der nach dem Ersten Weltkrieg einen ungeahnten Höhenflug in Deutschland erlebte. Erstmals entdeckte auch die Werbung die Macht des Fußballs auf die Massen, Fußballer traten als Werbefiguren für Zigaretten auf. Heute gesuchte und damals schon heiß begehrte Sammelobjekte waren die Fußballsammelbilder, die in Zigaretten, Liebigs Fleischextraxt, Schokolade oder anderen Konsumgüter zu finden waren.

"Höhnes, F.V. Zuffenhausen, ist ein energischer halblinker Stürmer, der trotz seiner kleinen Figur jeder gegnerischen Verteidigung außerordentlich schwer zu schaffen macht. Er verfügt über einen Bombenschuß und muß deshalb aufmerksam bewacht werden." - Fußballsammelbilder der Epoche beschränkten sich nicht nur auf Bildchen, sondern lieferten gleich noch, wie hier auf dem Bildchen des Tabakhersteller Greiling, Informationen mit.

Noch etwas war anders als heute: der DFB hatte kein Fußball-Monopol in Deutschland, sondern war lediglich der größte der nationalen Fußballverbände. Fußball war auch Klassenkampf, und während der DFB die "bürgerliche" Sparte bediente, kickten organisierte Arbeiter im Arbeiter-Turn- und Sportbund, der 1932 immerhin 136.787 Fußballer beherbergte, eigene Meisterschaften ausschrieb und eine eigene Nationalmannschaft in Ländervergleiche schickte. Württemberger Mannschaften spielten bei den Reichsmeisterschaften keine große Rolle, Fußballhochburgen waren Botnang, TuS Stuttgart-Ost, der VfL Neckargartach und der SK Böckingen. Auch in im Raum Göppingen / Aalen gab es einige Arbeitervereine, die allerdings in der Fußballgeschichte keine großen Spuren hinterließen. Der heutige SSV Aalen beispielsweise geht auf einem ATSB-Verein zurück. Ob es in Gmünd einen Arbeiterverein gab, ist mir nicht bekannt. Es gab wohl einen Verein mit dem nach Arbeitschaft klingenden Namen Sparta Gmünd. Dieser trat allerdings gerne in Freundschaftsspielen gegen die örtliche SA an, so dass eine Nähe zur Sozialdemokratie wohl eher ausgeschlossen ist. Die Nationalsozialisten verboten 1933 den ATSB und seine Vereine, der Besitz wurde beschlagnahmt. Aus dem heutigen Göppinger Ortsteil Holzheim wurde mir die Geschichte zugetragen, dass zwei Funktionäre des örtlichen ATSB-Handballvereins in einer Nacht- und Nebelaktion die Vereinskasse ihres verbotenen Clubs in einem nahegelegen Wäldchen vergruben, wo sie sich wohl heute noch befindet.

Einen weiteren Fußballmeister ermittelten die Kommunisten, die 1928 die Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit (KG) gründeten, über deren Einfluß ich in Württemberg allerdings nichts weiß. Gemessen an der politischen Struktur Württembergs zu jener Zeit dürfte es, wenn es denn Vereine gab, am ehesten Mannschaften in Stuttgart/Eßlingen und Heilbronn/Böckingen gegeben haben.

Für die Stadt Gmünd bedeutsamer ist der damals drittgrößte selbständige Sportverband, die Deutsche Jugendkraft. Auch die Katholiken ermittelten einen eigenen Fußballmeister, der in einer Bundesmeisterschaft ausgetragen wurde, und auch eine internationale Auswahlmannschaft, die zu Begegnungen gegen eine niederländische Auswahl antrat, gab es in ihren Reihen. 1932 zählte der Verband immerhin 83.280 Fußballer, und in Gmünd, einer traditionell katholischen Stadt, trat die DJK Gmünd erfolgreich gegen das Leder. Ebenfalls in einer 1. Liga, und mitunter auch vor vierstelligen Zuschauerzahlen. Wer den Sportplatz St. Katharina in Gmünd kennt, wundert sich vielleicht, dass sich dort mal 1.500 Zuschauer ein Spiel der DJK angesehen haben. Allerdings war die 1. Liga der DJK noch verwässerter als die 1. Ligen im DFB. Alleine in Württemberg gab es insgesamt sechs Gauligen als oberste Spielklasse, deren Meister zum Saisonende in 2 Gruppen den Württembergischen Meister ermittelten. Gmünd war dem Braunenberggau zugeteilt, daneben traten Mannschaften im Riß-Donaugau, Bussengau, Gau Stuttgart-Hohenstaufen, dem Unteren Neckargau und dem Schwarzwaldgau gegen das Leder. DJK Gmünd war dabei sogar Rekordmeister mit insgesamt 6 Meistertiteln. Innerhalb der Bundesmeisterschaft, die im K.o.-System ausgetragen wurde, spielten die "Nazarener" allerdings keine Rolle und schieden stets in Runde 1 aus. Der DJK-Fußball vor 1933 ist ein statistisch noch weitgehend unbeackertes Feld. Die Punktevergabe spiegelte dabei das christliche Weltbild wieder. Nicht nur für Siege und Unentschieden wurden Punkte vergeben, auch faire Spielweise und ähnliches wurde mit Bonuspunkten, sogenannten Spielpunkten, honoriert, und konnten am Ende einer Saison entscheidend sein.

Meisterschaften der Deutschen Turnerschaft gab es 1932 nicht mehr. Zumindest im Fußball. Die 12.000 Turn-Fußballer wurden 1931/32, abgesehen von einigen Ausnahmen (Sachsen), in den DFB aufgenommen. Für den Gmünder Raum kann man den TV Herlikofen als bekanntesten Namen ansehen. Ein erwähnenswerter Unterschied zum DFB-Fußball war sicherlich, dass die Turner zuvor auf kleineren Feldern spielten, und die Turnvereine beim Übertritt in den DFB in gewisser Weise gehandicapt waren, bis sie sich an die ungewohnt großen Spielfelder gewöhnt hatten.

Ferner gab es noch den Eichenkreuz (Protestantischer Sportverband), Schild (Jüdischer Sport), Behörden-, Firmen- und Militärfußball. Zudem traten noch zahlreiche "wilde" Vereine gegen den Ball, in Gmünd z. B. Straßenmannschaften. Von den anderen Verbänden ist für gewöhnlich nicht so viel bekannt, ob z. B. das Eichenkreuz überhaupt Fußball spielte bzw. Meisterschaften austrug, ist fraglich. In Gmünd dürfte der Verband keine Rolle gespielt, ebenso die jüdische Organisation Schild. Der einzige aktive jüdische Sportler, den ich überhaupt ausfindig machen konnte, war der Hockeyspieler Hugo Kahn (Normannia Gmünd). Auch Gmünder Behördensportler scheint es in der Weimarer Republik nicht gegeben zu haben, ein Postsportverein Gmünd taucht erst in den 1950er Jahren in den Fußballligen auf. Aber Gmünd war Garnisonsstadt, und natürlich traten dementsprechend Unteroffiziere oder Kompanien in Fußballpartien an. Und was Betriebssportmannschaften betrifft, ist mir zumindest ein Mannschaftsfoto der Elf von Erhard & Söhne bekannt.

Doch diese Vielfalt soll nur für den Überblick dienen. Für die neue Serie "Zurückgeblättert" wird es sich naturgemäß um die Vereine des "bürgerlichen" DFB bzw. der Bezirksliga Württemberg und Normannia Gmünd handeln. Von daher wird es beim nächsten mal um einen Rückblick der Normannia und einer Saisonvorschau weitergehen.

Eine gute Zusammenfassung über den Ligaaufbau in jener Zeit findet sich übrigens auf der Seite des Süddeutschen Fußballarchivs.

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