Mittwoch, 22. April 2015

Nord gegen Süd - TV Straßdorf gegen TSV Großdeinbach

Moritz Klotzbücher wirbelt viel Staub auf - aber vergebens

Auch wenn mein Herzblut für den 1. FC Normannia Gmünd schlägt und mein Interesse den alten Traditionsvereinen der ehemaligen 1. und 2. Amateurliga gilt, so fühle ich mich nur dann als richtiger "Spätzleskicker", wenn ich völlig unbefangen und neutral einen Fußballplatz der unteren Spielklassen besuchen darf.

Nach dem unglücklichen Ausgang der gestrigen Verbandsligapartie brauchte ich zum Ausgleich mal wieder eine Partie an den Wurzeln des Sports. Ein wenig liebäugelte ich mit einem Besuch der Partie FC Gärtringen gegen FC 07 Albstadt, aber mir stand der Sinn nicht nach langen Zugfahrten, versäumte aber somit auch 10 Tore beim 3:7-Erfolg der Albstädter. So mußte ich mich zwischen zwei Kreisliga-B-Partien entscheiden, die mein Interesse gefunden hätten. Zum einen das Lorcher Stadtderby TSV Waldhausen gegen Sportfreunde Lorch II, zum anderen die Begegnung TV Straßdorf gegen den TSV Großdeinbach, ein echtes Gmünder Stadtderby.

Ideal für Zaungäste: der Sportplatz in Straßdorf
Nun, Straßdorf ist nur einen Spaziergang von meiner Wohnung entfernt, und ich dachte, die Nachbarschaft hätte mal einen Besuch verdient. Zumal die Partie ja auch vom Tabellenstand Spannung versprach. Straßdorf stand auf Platz 4 mit Tuchfühlung auf den Relegationsplatz, der von Großdeinbach besetzt war.




Beide Stadtteile waren einstmals selbständige Gemeinden, die im Rahmen der Kreisreform 1972 nach Schwäbisch Gmünd eingemeindet wurden, wodurch es zu besagten Stadtderby kommt. Großdeinbach, ungefähr 4.090 Einwohner, liegt im Gmünder Norden (Postleitzahlgebiet 73527); Straßdorf, ungefähr 3.610 Einwohner, im Gmünder Süden (Postleitzahlgebiet 73529). Man möchte es nicht glauben: obwohl die Große Kreistadt bzw. die Gmünder Kernstadt wie ein Moloch zwischen beiden Ortskernen liegt, sind Straßdorf und Großdeinbach echte Nachbarn, grenzen ihre Gemarkungsgrenzen aneinander.

Andrang am Kassenhaus
Ein Besuch beim TV Straßdorf lohnt aus Sicht eines Normannia-Fans natürlich auch aus anderer Hinsicht: mit Aleksandar Kasunic hat ein Oberliga-Veteran der Schwerzer-Elf die Trainerrolle inne, und wer mal sehen will, wie die Normannia im Baden-Württembergischen Oberhaus herumwirbelte, wird in Ertac Seskir fündig, der immer noch ein fester Torgarant beim TVS ist. Und last but not least: Normannia Co-Trainer Veselko Karačić kontrollierte einst das Mittelfeld in Straßdorf und drückte auch dort die Trainerbank.

Einsam steht der Wurstgrill - hier gibt es nur "Rote"

Ähnlich wie beim TV Derendingen vollzog sich die Fußballgeschichte in Straßdorf auf ungewohnte Weise. 1921, zu einer Zeit, als andernorts die Fußballabteilungen im Rahmen der sogenannten "reinlichen Scheidung" die Turnvereine verließen und eigene Wege gingen, nahm der frischgegründete örtliche Fußballverein Kontakt zum Turnverein 1874 auf. Hintergrund war, dass das zarte Pflänzlein Fußball schlichtweg einen Sportplatz brauchte und daher bei den Turnern ob einer Spielmöglichkeit hausieren ging. Doch die Turner wollten die Balltreter nur dann akzeptieren, wenn diese als Abteilung dem Turnverein beitreten würden, was dann auch 1922 geschah.


Während von der Turnabteilung viel berichtenswertes für die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg verzeichnet ist, spielten die Fußballer keine größere Rolle im Spielbetrieb. Selbst dem Handball - damals noch eine Feldsportart - wurde in Straßdorf mehr Aufmerksamkeit gewidmet, standen die Straßdorfer Fußballer hintenan. 1939 kam der Spielbetrieb weitgehend zum erliegen, im Laufe des Krieges der Sportplatz gar zur Gartenbaufläche degradiert.

1948 - der Sportplatz ward mitterweile in einen besseren Zustand - nahm der TV Straßdorf den Spielbetrieb wieder auf und wurde der A-Klasse - zum damaligen Zeitpunkt immerhin nach Oberliga, Landesliga und Bezirksklasse die vierthöchste Liga - zugeteilt. Es folgten mehrere Auf- und Abstiege zwischen A- bis C-Klasse und Pokalsiege auf Kreisebene (1951 und 1966).

Später Stein des Anstoßes: ein kleiner Hund










Auch nach der Ligareform war höchstens die Bezirksliga die Heimat der Gmünder "Südstaatler". Von diesen Tagen ist man beim TVS derzeit allerdings weit entfernt und versucht, die Kreisliga B, der man seit 2012 angehört, endlich wieder zu verlassen. Die heutige Begegnung hatte einen historischen Vorläufer. Schon am 27. Februar 1955 stand der TV Straßdorf im Aufstiegsrennen in die A-Klasse und empfing den TSV Großdeinbach, der zu jenem Zeitpunkt allerdings nur im Mittelfeld herumgurkte. Die Platzverhältnisse waren damals sicherlich schlechter als heute, wobei der Wind in Straßdorf auch schon vor 60 Jahren immer eine Erwähnung wert war. Auch bei meinem Besuch bereute ich es, keinen Drachen mitgebracht zu haben, um ihn in die Lüfte erheben zu lassen. 1955 ging Deinbach in Führung, geriet aber bald in Rückstand und verhinderte selber den Ausgleich, als der Deinbacher Stürmer auf der Straßdorfer Torlinie vom Ball angeschossen wurde. Die Partie damals endete 3:2 für den TV Straßdorf, der allerdings in der Meisterschaftsfrage dem TSV Mutlangen den Vortritt lassen mußte.


Aber genug in der Vergangenheit geschwelgt. Das Spiel begann mit knapp acht Minuten Verspätung.Vielleicht wollte man schlicht noch warten, bis ein paar Zuschauer mehr kommen? Die Gründe sind mir nicht überliefert, nur die 200 Zuschauer, die auf dem fast schon peinlich Pro-Großdeinbach parteiischen fupa-Liveticker übermittelt wurden, kommen mir etwas optimistisch vor.

Die Fangruppen oder besser gesagt Zuschauersymphatisanten waren schnell zugeordnet. Links neben dem unteren Tor standen die Straßdorfer: Reservespieler, Spielerfreundinnen und betagte Fußballveteranen, während ein paar freitollende Kinder lieber selber Fußball spielten, wobei der Junge im Tor nur im Manuel-Neuer-Trikot auf Balljagd gehen konnte. Auch das Großdeinbacher Publikum, hinter der Bande auf der rechten Seite platziert, entsprach weitgehend dem gleichen Klientel. Lediglich im Bereich der Fanschals stand es 1:0 zugunsten des TSV Großdeinbach.











Kreisliga B ist zwar nicht die große Fußballwelt, aber das Spiel "Nordgmünder gegen Südgmünder" hatte alles, was ein Gemarkungsflächennachbarschaftsderby zu bieten hatte. Großdeinbach begann wie die Feuerwehr und ging bereits nach 13 Minuten durch einen Treffer Maximilian Schmidt mit 1:0 in Führung.

Führungstreffer für die Gäste durch Maximilian Schmidt.

Weitere 13 Minuten dauerte es, ehe die Deinbacher die Geschichte wiederholten. Simon Wahl war der Glückliche, der das Ding erneut im Kasten von Moritz Klotzbücher versenkte.

Schau an, Simon Wahl macht es seinem Teamkollegen nach. 0:2
Zwei Tore für die Gäste innert 26 Minuten. War es das für Straßdorf, eine Heimklatsche gar? Moment! Da spielt ja immer noch ein Ex-Normanne, und Normannen sind bekanntlich immer für Tore gut. Ertac Seskir steht dann auch in der 40. Minute goldrichtig, dreht sich blitzschnell und läßt Torhüter Benjamin Wahl keine Chance. Kurz vor Halbzeit also der Anschlußtreffer.

Nur noch 1:2. Ertac Seskir knall das Leder ins Netz.
Großdeinbach reklamierte Abseits, aber Schiedsrichter Rudi Wirth ließ sich auf keine Diskussionen ein.


Keine Diskussionen mit dem Schiri.
So leicht überwindet man Keeper Wahl nicht.










Bis zum Seitenwechsel gab es zwar noch eine Auswechslung und drei gelbe Karten, zwingende Torchancen gaben sich aber nicht mehr die Ehre. Somit blieb es beim 1:2 der Großdeinbacher Gäste nach 45 Minuten - vollkommen verdient, den der TSV spielte wesentlich torhungriger und siegesgewillter als der heimische TV.

Eine Schlange bildete sich vor dem einsamen Grillstand vor dem Vereinsheim, der allerdings nur rote Würste im Sortiment hatte. Der Senf war ausverkauft, aber Ketchup gab es zuhauf. Nur den wollte keiner. Ein besonderer Reiz in der Kreisklasse: wenigstens kann man sich da noch echte Bierhumpen an den Spielfeldrand mitnehmen.

Großdeinbach ante portas auch in Halbzeit 2
Auch die 2. Hälfte sah eine dominantere Gästeelf, wobei man anerkennen muß, das die Straßdorfer verhement auf den Ausgleich drängten.

Foul...

... oder nicht Foul?

Dann kam ein umstrittener Elfmeter, der in der 60. Minute zum Ausgleichstor für Straßdorf führte. Ob berechtigt oder nicht (ich weiß es wirklich nicht), Ertac Seskir verwandelte den Straßdorfer Strafstoß zum 2:2-Ausgleich.

Seskir läuft an....

...und trifft. Ausgleich Straßdorf - 2:2
Die Freude (oder Verärgerung - je nachdem welcher Sympathisant man war) währte nicht lange. Aus einem - im Rugby nennt man sowas "Gedränge" - im Straßdorfer Strafraum kommt Maximilian Schmidt irgendwie an den Ball und sorgt für die erneute Führung der Gäste - bei der es bis zum Schluß auch bleiben sollte.

Aus der Mitte enspringt ein Tor.
Was folgt sind zahlreiche Unterbrechungen des Spielflußes, die wohl nur in den zahlreichen Kreisklassen in Deutschland vorkommen, wie z.B. die gelbe Karte gegen einen Ersatzspieler der Gäste.

Gelb gegen einen Ersatzspieler.

Patrick Wahl vom TSV Großdeinbach.
Schiedsrichter Rudi Wirth















Kurz danach kam dann noch eine Szene, die der Fupa-Liveticker wie folgt beschreibt: "Spielunterbrechung: Der Schiri verlangt nach Ordnern um einen Grossteil der Deinbacher Fans des Stadions zu verweisen und droht zudem eine Meldung beim WFV an. Sehr fragwürdig". Dazu muß ich als neutraler Besucher doch meinen Senf dazugeben. Auf der Gästebank befanden sich 4-5 Personen einschließlich eines kleinen Hundes, die dort nichts zu suchen hatten. Diese Personen wurden auf die Stehplatztravesen verwiesen. Von einem "Großteil" der Großdeinbacher Fans kann da nicht die Rede sein - diese befanden sich schließlich auf der anderen Seite des Sportplatzes.


Kurz vor Schluß noch eine gelb-rote Karte.
Wie dem auch sei - es folgte noch eine gelb-rote Karte gegen einen Straßdorfer Spieler - und dann war das Spiel auch bald aus. Die Großdeinbacher Spieler fielen zurecht in den Jubel ein, denn der Sieg war durchaus als gerecht zu bezeichnen.

Verdienter Sieg - verdienter Jubel
Großdeinbach blieb während den 90 Minuten schlicht siegorientierter und ging einfach konsequenter ins Ziel. Das soll nicht heißen, das die Gastgeber schlecht waren, nur der kleine Aufputsch durch den Anschluß- und Ausgleichstreffer war halt zu wenig, um gegen eine Mannschaft wie Großdeinbach zum Dreier zu kommen.

Gejubelt wurde nur auf der Fassade des Vereinsheims.
Durch diese Niederlage dürfte sich der TV Straßdorf aus dem Aufstiegsrennen verabschiedet haben. Wie im blutigen Vorbild der Auseinandersetzung "Nord gegen Süd" war es der Norden, der siegreich blieb, und dem Süden bleibt die Hoffnung, "wieder aufzuerstehen".

Und während ich mich über die sonnenbeschienenen Felder Straßdorfs gemütlich auf dem Heimweg, dringt aus der Ferne der Siegegesang Großdeinbachs ans Ohr, die zur Melodie der Nationalhymne "sehr zum Wohle, sehr zum Wohle, sehr zum Wohle, TSV" ob ihres 2:3-Erfolges jubilieren. 60 Jahre, nachdem ihre fußballspielende Vorväter hier 3:2 unterlagen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen