Samstag, 17. Mai 2014

Zurückgeblättert (3) - Als Stuhlfauth das Tor im Schwerzer hütete

Siegesfeier und Freundschaftsspiel gegen den 1. FC Nürnberg


"'Viktoria' klang es aus allen Kehlen bei der Begrüßung der Sieger bei der Rückkehr aus Pforzheim. Es freut sich Stadt und Land über den Erfolg und ich beglückwünsche die wackere Elf, ihren Führer Herrn Pauser und den gesamten Verein zum Erfolg, der in das Diadem der Gamundia einen weiteren Edelstein eingesetzt hat". Gmünds Oberbürgermeister Karl Lüllig schlug hochlobende Töne an, als der 1. FC Normannia im Katholischen Vereinshaus, dem heutigen Hotel "Pelikan", seine Siegesfeier zu Ehren der Meistermannschaft abhielt. Das Vereinshaus bot sich mit seinem Festsaal für eine solche Veranstaltung geradezu an, da das eigentliche Vereinslokal, die Thorbäckerei, für die große Anzahl der Gäste wohl zu klein gewesen wäre. Selbst der Festsaal im Vereinshaus platzte aus allen Nähten, als der Ehrenvorsitzende Hans Aich mit reichlich Verspätung die ursprünglich für 20 Uhr angesetzte Ehrung eröffnen konnte.

Neben OB Lüllig zählten zu den illustren Gästen Walter Gschwind, Vorsitzender des Fußballbezirks Württemberg-Baden; Lothar Steiger, der Chefredakteur der amtlichen Sportpresse, der eigens vom Bodensee in die Gold- und Silberstadt kam; Stadtrat Paul Mahringer; die Vertreter der Rems-Zeitung und der Gmünder Zeitung; Hauptmann Hieber vom Gmünder Bataillon der Reichswehr; Regierungsrat Dr. Seyfritz vom Bezirksarbeitsamt; Polizeirat Geiger und der Vorstand der DJK mit Josef Wagenblast an der Spitze.

Im 28. Jahr seines Bestehens, so der Ehrenvorsitzende, habe die Normannia zum zweiten mal nach 1921 die oberste Fußballklasse erreicht. Sein Dank galt neben der Mannschaft und dem Spielausschuß auch der Presse, der Stadtverwaltung und dem Gemeinderat. Zugleich betonte Aich auch die wirtschaftliche Bedeutung des Fußballs, und dass durch die Normannia die Stadt Gmünd als Sportmittelpunkt der Umgebung auftrete. Dann kam er auf die dringende Platzfrage zu sprechen, da der viel zu kleine Platz endlich eine dringende Erweiterung benötigte, und sich hierfür der Freiwillige Arbeitsdienst anbieten würde. "Es wäre erfreulich, wenn hier unter engster Zusammenarbeit von Stadt und Reich und unter weitmöglichster Unterstützung durch die Normannia dieser Plan, dessen letzte Punkte noch nicht erledigt sind, in Bälde beschlußfähig und ausführungsreif wäre".

Diesen Ausführungen folgte die Übergabe von Geschenken an die Aufstiegsmannschaft und Pauser. Für Josef Pauser, dem Leiter des Spielausschußes, war es nicht die letzte Ehrung des Tages. Aus den Händen des Bezirksvorsitzenden Gschwind erhielt zunächst die Mannschaft ihr Meisterdiplom, ehe Pauser und Hans Aich für ihre Arbeit die Ehrennadel des Süddeutschen Fußball- und Leíchtathletikverbandes erhielten. "Ich beglückwünsche von Herzen die Normannia zum errungenen Sieg", so Gschwind. "Es gilt nun, den Sieg wahr zu machen und es wird nicht leicht sein, sich in der nun errungenen Klasse zu halten. Der große Anklang des Fußballs und die große Begeisterung macht es in den kommenden Spielen den Gegnern schwer, sich insbesondere in Gmünd durchzusetzen", was als Hinweis auf das lautstarke und fußballgebeisterte Gmünder Publikum zu werten ist.

Dies soll aus der Rednerliste genügen. Den Abend beschloß das Musikprogramm der Kapelle Beck-Moretti und der Auftritt des Stuttgarter Humoristen Renz. Bereits am Nachmittag fanden am Normannia-Platz die vereinsinternen Leichtathletikmeisterschaften statt, die auch für die Fußballer die einzig nennenswerte Bewährungsprobe ermöglichten. Denn wie bereits in der vorherigen Folge erwähnt, herrschte jedes Jahr im Juli. der Hochsommerzeit, eine vom Verband verhängte Spielsperre, so dass den Vereinen nur der Trainingsplatz zur Vorbereitung diente.

Wenige Tage nach Beginn der Somemrferien, am 31. Juli 1932, stand das einzige Vorbereitungsspiel des Aufsteigers an. Für den Wahlsonntag (es fanden wieder einmal Reichstagswahlen statt) verpflichteten die Gmünder die Pokalmannschaft des 1. FC Nürnberg. Nürnberg, das war natürlich nicht nur irgendein Verein. Auch wenn der letzte Meistertitel bereits 5 Jahre zurück lag (1927 vor 50.000 Zuschauern in Berlin gegen Hertha BSC mit 2:0), so zählte der Club immer noch zu den Spitzenclubs des Landes. Außerdem waren die Nürnberger das Vorbild für die Gmünder Normannia, die nicht umsonst in schwarz-rotem Dress antritt. Nürnberg war bereits im vergangenen Jahr Gegner in einem Freundschaftsspiel, das von der Normannia völlig überraschend gewonnen wurde.

Die vom Redakteur Ernst Haug verfasste Vorschau spricht dann auch voller Vorfreude auf das Fußballereignis. "Der 1. FC Nürnberg stellt, wie schon im Vorjahr, so auch heuer wieder eine Lehrmannschaft hiezu zur Verfügung, deren Auftreten man mit Recht mit größter Spannung entgegensieht. Gerade der Klubnachwuchs ist es, der in Gmünd stets zu begeistern wußte und dessen systemvolle und vor allem höchstanständige Spielweise volle Anerkennung fand. Diesesmal hat man dazu noch die Freude, in Stuhlfauth Deutschlands größten Torwart begrüßen zu können,  der sich absolut nicht als "Alter Herr" fühlt, sondern auch heute noch als Stratege in der ihm eigenen, unerreichten Weise das Klubtor hüten kann. Seine Mitspieler standen fast durchweg schon längere Zeit in der berühmten Meisterelf und geben auch sonst zumindest den Uebungsgegner für dieselbe ab."

Heinrich Stuhlfauth! Es ist schwer zu beschreiben, welche Popularität Nürnbergs Nationaltorwart auf die Zeitgenossen ausströmte. In der Zeit, in der die Torpfosten noch eckig waren und die Torhüter keine Handschuhe, aber dafür Mützen trugen, verkörperte Heinrich "Heiner" Stuhlfauth den Fußballstar schlechthin.

Auch sonst entstiegen an jenem Sonntag den um 11:30 Uhr im Gmünder Hauptbahnhof eintreffenden Schnellzug aus Nürnberg bekannte Namen, die heute den Club-Annalen angehören. Mittelläufer Willi Billmann, der spätere Nationalspieler, gehörte zum Beispiel dazu, und als Ersatztormann nahm man Benno "Kracherle" Rosenmüller mit nach Gmünd.


Bei Normannia war die Aufstellung lange nicht klar. Auch wurde lange überlegt, ob statt Stammkeeper Stadelmaier die Ersatzleute Weber oder Brenner den Kasten am Sonntag hüten sollten. Wer am Ende als Torhüter in der Startelf stand, ist leider nicht überliefert. Brenner war es zumindest nicht. Überhaupt experimentierte der Gmünder FCN mit zahlreichen Ersatzleuten, was anschließend sehr kritisiert wurde.

Aber zunächst zum 31. Juli. In Los Angeles wurden die Olympischen Spiele eröffnet, und in Deutschland gingen nach dem gewalttätigsten Wahlkampf mit einer überraschend hohen Wahlbeteiligung von 84% die Bürger an die Urnen, um den 6. Reichtag der Weimarer Republik zu wählen, der die NSDAP als stärkste Partei sah.

In Gmünd, das kurz zuvor eine große Wahlkampfveranstaltung des ehemaligen Reichskanzlers Brüning erlebte, drückte die Sommerhitze gewaltig auf die Stadt. Dennoch fanden sich knapp 1.500 Zuschauer ein, um die heimische Normannia gegen die Zweite, die sogenannte Pokalmannschaft, des Club zu erleben. Damals lag der Schwerzer noch außerhalb der Stadt, und nach einem kleinen Spaziergang war bereits ab 20 Pfennig ein Eintritt möglich - sofern man Mitglied war und mit einem Stehplatz vorlieb nahm.

Der 1. FC Nürnberg spielte mit Heiner Stuhlfauth im Tor. Als Verteidiger fungierten Artur Diesterer und Schmidt. Die Läuferreihe bildeten Fleischmann, Willi Billmann und Summa. Im Sturm standen Helmbrecht, Jürgen Burk, Heinrich Hollfelder, vermutlich Gottfried Völkel und Emil Brennenstuhl. Wie gesagt nahm Nürnbergs Spielleiter Buchfelder noch Benno Rosenmüller sowie Georg Luber, Lederer und Fritz Kreißel mit nach Gmünd.

Bei Normannia Gmünd sind nur 8 Namen aus dem Aufgebot überliefert. Als Verteidiger fungierten Hegele und Schneck, in der Läuferreihe operierte Blattner. Im Sturm standen Schwegler, Hugger, Stütz, Stegmaier und Mezger. Die beiden anderen Läufer und der Torhüter konnte ich nicht herausfinden.

Schiedsrichter war Neurer aus Wasseralfingen, dem eine gute Spielleitung nachgesagt wurde.

Vielleicht lag es ja an der Sommerhitze, aber berauschend war das Spiel nicht. Schiedsrichter Neurer unterbrach die 1. Halbzeit für eine Gedenkminute an Eduard Kartini. Am Vortag wurde der langjährige Vorsitzende des Süddeutschen Fußballverbands unter großer Anteilnahme aus ganz Deutschland in Nürnberg beigesetzt.
Die erste Hälfte zeigte noch ein gefälliges Spiel, Mezger und Stütz konnten sogar Nürnbergs lebende Torwartlegende bezwingen, dennoch standen den 2 Normanniatoren 3 Treffern der Nürnberger gegenüber.
Nach dem Seitenwechsel machte der Club den Sack endgültig zu, und revanchierte sich für seine im Vorjahr erlittene Schlappe mit einem 6:2-Auswärtssieg bei Normannia. In der 2. Halbzeit lief bei den Gmündern einfach nichts mehr zusammen, zumal die Mannschaft in dieser Formation noch nie zusammenspielte.

Es hagelte harsche Kritik am Spiel der Normannia. Zu Erfolgsverwöhnt war man wohl von Seiten der Anhänger, die den fantastischen Sturmlauf in die oberste Spielklasse erlebten, als das man so kommentarlos auf die Niederlage im Freundschaftsspiel reagieren konnte. "Bei sachlicher Mannschaftskritik", hieß es einige Tage später in einem Brief an die Presse, "verdient Nürnberg das Prädikat gut und Normannia schlecht. Unbedingt! Dort ökonomisches Haushalten in allen Reihen, richtige Kräfteverteilung, hier zusammenhangloses, unproduktives Spiel. Bei Nürnberg einen in sich geschlossenen, einheitlichen Mannschafts-Körper - einen Spieler besonders zu erwähnen, hieße die andern tadeln. Ohne sich besonders auszugeben, war ihnen der Sieg in keiner Spiel-Phase zu nehmen. Kurz: Fußball in Reinkultur! Und Normannia? Ein Körper ohne Geist! Mir hätte Brenner im Tor besser gefallen, er hat mehr Rutine [sic!], obwohl der sonntägliche Hüter des Tores es gewiß an Energie und Fleiß nicht fehlen ließ und einige Tore bestimmt auf das Konto der Verteidigung zu sezten sind. Die Verteidigung war über ganze Spiel nie auf der Höhe. Hegele (sonst immer einwandfrei) mag durch eine erlittene Oberschenkelverletzung verhidnert gewesen sein, Schnecks Spiel war viel zu unreif in Angriff und Zuspiel. Einigermaßen genügen konnte das Spiel der Läuferreihe, wobei Blattner der erfolgreichere war. Und der Sturm, wo fehlte es da? Eigentlich überall! Mezger als Sturmführer enttäuschte gewaltig. Nein lb. Mezger, ohne Angriff kein Sieg, auch keine Torsiege! (Uebrigens für den ganzen Sturm geltend.) In Stellung laufen, sich freistellen ist notwendig für erfolgreiches Stürmerspiel. Hugger mag sich vielleicht noch nicht recht zurechtfinden in der Mannschaft, das mag entschuldigen; wir erwarten aber noch mehr von ihm. Der kleine Stütz war eigentlich bei den gegebenen Verhältnissen der eifrigste, er war nie "untätig". Von den beiden Flügeln Stegmaier, Schwegler sah man das gewohnte Spiel.
Ein Wort an die Vereinsleitung! Warum ist B. nicht mehr dabei? Wenn er sich schon unzulässig erhalten, warum ließ man ihn gewähren? Durch die Nichtberücksichtigung bei der Spielerehrung an der Siegesfeier meines Erachtens Strafe genug. Kann man sich den Luxus einer Ignorierung talentierter Spieler leisten? Mit der neuen Spielzeit muß mit vermehrtem Kräfteverbrauch gerechnet werden, und ein Ersatz für 1. Mannschaft muß auch erstklassig sein. Denn auch ich halte für richtig, daß Erfolg verpflichtet!"

Wer mag dieser ominöse B. gewesen sein, über den die schmutzige Wäsche in der Öffentlichkeit gewaschen wurde? Da er bereits in der Siegerehrung unberücksichtigt blieb, muß er zur Aufstiegself gehört haben. Brenner stand in der weiteren Auswahl, Blattner spielte, so könnte der Unglückliche wohl Stürmer Butz gewesen sein, es bleibt aber Spekulation. Auch die Art und Weise seines Vergehens verhallt in ergebnislos in der Geschichte.

Und Heinrich Stuhlfauth? Der war natürlich die Attraktion beim Fußballspiel. Der Mann mit der Mütze, der auch Niederlagen in Freundschaftsspielen nicht ausstehen konnte, war natürlich der Publikumsmagnet in Schwäbisch Gmünd. Bis an die Torlinie gedrängt standen seine meist jungen Fans, um ihren Star ganz aus der Nähe zu erleben. Auch hier sei, weil so köstlich, der Originalton der damaligen Zeit zitiert: "Der alte Kämpfe Stuhlfauth, der für die Nürnberger Torwart spielte, war für die Fußballjugend der Anziehungspunkt, der wie der geschichtliche "Rattenfänger" einen ganzen Schweif von sportbegeisterten Fußballbuben nach sich zog. Als die Pause eintrat, stürmten die Jungen auf den Fußball-Altmeister zu und umringten ihn, wahrscheinlich um "Autogramme" zu erbetteln. Sie ließen ihn auch nicht los, bis zu seiner Erleichterung das Spiel wieder begann". Wie viele dieser Autogramme mögen heute noch in Gmünder Alben, Schubladen oder Dachböden auf ihre Entdeckung warten?

Weitere Gesellschaftsspiele des 31. Juli 1932:
1. FC Normannia Gmünd - 1. FC Nürnberg Pokalmannschaft 2:6 (2:3)
Stuttgarter Kickers - Teutonia München 3:0
Union Niederrad - Union Böckingen 2:2
Sportfreunde 02 Eßlingen - 1. SSV Ulm 3:5
SV Feuerbach - FV 98 Zuffenhausen 4:0
SpVgg Schramberg - 1. FC Birkenfeld 2:5
SpVgg Cannstatt - VfB Stuttgart 0:5
1. FC Nürnberg - Austria Wien 2:1
Union Herbrechtingen - VfR Heidenheim 1:5
VfR Gaisburg - Göppinger SV 6:1
Ulmer FV 1894 - Stuttgarter SC 5:2
Tennis Borussia - FC Bayern München 1:7 (0:5)
1. FC Pforzheim - Freiburger FC 6:4

Andere Folgen der Serie "Zurückgeblättert" (1932/33):
Teil 1: Der Fußball in Württemberg 1932/33
Teil 2: Rückblick auf die Meisterschaft und Vorschau auf 1932/33

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